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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Augenblick lang den Anschein einer Frau, die sich erst vor wenigen Stunden mit allen Mitteln und vergeblich einem Mann hinzugeben versucht hatte. (Andererseits waren seine Vergleichsmöglichkeiten gering, da er keine einzige Frau kannte, der ein derartiges Schicksal widerfahren war.) Auch von ihrem hysterischen Zornesausbruch war so gut wie nichts zu bemerken; sie rieb sich ab und zu unbewußt über die Arme, die sich noch wie taub anfühlten von Ernsts Befreiungsgriff, aber es warenkeine weiteren Spuren geblieben. Auch Ernst war bemerkenswert unversehrt aus der Angelegenheit hervorgegangen. Daß Dionisia ihm Haare zu Büscheln ausgerissen hatte, sah man seinem Schopf nicht an, und die feuerroten Striemen links und rechts seines Nackens, die Spuren, die Dionisias Finger hinterlassen hatten, waren fast völlig unter dem hohen Kragen des Lederwamses verborgen. Er bemühte sich ebenfalls nach Kräften, so zu tun, als sei nichts vorgefallen, und warf Dionisia nur aus dem Augenwinkel mißtrauische Blicke zu. Sein Gesicht sah älter aus als gewöhnlich; seinem aufgesetzten Gleichmut zum Trotz schien er nicht mehr viel Schlaf gefunden zu haben. Philipp vermochte beiden nicht in die Augen zu sehen. Er murmelte unverbindliche Grüße, als er zuerst an Dionisia, dann an Ernst vorbei nach draußen eilte. Jetzt war er froh, daß das Gespräch mit Radolf ihm die Möglichkeit gab, den Hof zu verlassen. Er wußte, daß es nicht mehr als Flucht war. Er hatte die restliche Nacht in einer Mischung aus Entsetzen, Zorn und Trauer verbracht und dabei kaum ein Auge zugetan.
    Radolf stand zwischen der Böschung, die seinen Besitz umgab, und dem Mauerstück, in dem die Torflügel hingen. Er starrte die Mauer an; selbst von der Ferne war sein Gesicht so weiß wie ein Laken. Philipp hielt sein Pferd neben ihm an und beugte sich zu ihm hinab. Radolf reagierte nicht. Sein Blick ruhte auf einer Zeichnung, die jemand offenbar mit dem Ruß einer Fackel auf den hellen Stein gemacht hatte: zwei Striche, die einander in der Mitte kreuzten und ein X ergaben; in jedem der vier Dreiecksfelder, die sich um das X gruppierten, saß ein Punkt. Radolf atmete schwer.
    »Was ist das?« fragte Philipp.
    Radolf schaute nicht auf. »Das Symbol des Todes. Es wird den Verdammten gezeigt, wenn sie vor den Höllenthron geführt werden.«
    »Und was für eine Bedeutung hat es hier, auf Eurer Mauer?«
    »Die gleiche«, sagte Radolf dumpf.
    Philipp versuchte sich gegen den Schauer zu wehren, der seine Arme hinauflief. »Wißt Ihr, wer es hier aufgemalt hat?«
    Radolf bewegte langsam den Kopf von links nach rechts. Philipp wartete auf eine Antwort oder daß der Burgherr ihn ansehen würde, aber beides blieb aus. Schließlich sagte er: »Ich reite nach Hause, wie wir gestern vereinbart haben. Ich weiß nicht, wann ich wieder zurück sein werde.« Radolf gab kein Zeichen, daß er Philipps Worte verstanden hatte. Philipp zog an den Zügeln und trabte über die Planken hinaus ins Freie. Nach ein paar Dutzend Metern drehte er sich um. Radolf stand noch immer bewegungslos vor der Mauer und starrte das Symbol an. In den Spalten und Sprüngen der steinernen Mauer sah er die Gestalt des Teufels, die das Symbol in den Krallen hielt und es vor seinen Augen schwenkte, während zwischen den gespreizten Hufen des Höllenfürsten das Feuer loderte und das Lachen Satans sich mit den Schreien der Verdammten mischte, die vor ihm diesen Weg gegangen waren.
    Philipp war froh, als ihm die Biegung der Straße den Blick auf Radolfs einsame Gestalt nahm. Er kam beim Schuppen vorüber, und sein Blick fiel auf das gekreuzigte Käuzchen. Es hatte Gesellschaft bekommen: ein Wiesel, dessen helles Bauchfell scharf vom verwitterten Holz der Tür abstach. Philipp konnte die Augen nicht davon abwenden, während sein Pferd unbeeindruckt vorbeischritt. Das Fell des Tiers war unbeschädigt und wies ebenso wie die dünnen Blutspuren, die von den festgenagelten Pfoten an der Tür heruntergelaufen waren, und die im Todeskampf entblößten Fänge darauf hin, daß die Dorfbewohner das Wiesel lebend gekreuzigt hatten. Der schlangengleiche Kopf des Raubtiers hing seitlich auf die Brust nieder wie in einer gräßlichen Parodie auf den Heiland. Philipp wandte endlich den Blick ab und sah den Pferdeknecht, der zwischen zwei Bauernhäusern hervorkam und auf ihn zulief. Er hielt das Pferd an.
    »Verlaßt Ihr die Gegend?« fragte der Pferdeknecht atemlos.
    »Bis auf weiteres; aber ich komme zurück.« Möglicherweise.

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