Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
einstellen würde, um ihm in die Augen zu sehen, aber die Bewegung nahm kein Ende mehr. Den Blick wieder durch Philipp hindurch gerichtet und sicherlich das Bild des Toten erneut vor Augen, schüttelte Radolf ohne Unterlaß den Kopf hin und her.
Die Alte saß auf dem Boden vor dem hölzernen Verschlag, der Dionisias Kammer bildete. Bei Philipps Näherkommen blickte sie auf und schenkte ihm einen feindseligen Blick. Philipp sah auf sie hinunter. Sie sprach ihn nicht an. Ihr Rücken lehnte an der Tür, vor der quer ein Balken in zwei Zwingen lag. Die Zwingen schienen sich schon seit langer Zeit an ihren Plätzen links und rechts neben der Tür zu befinden, als habe Radolf öfter eine Notwendigkeit gesehen, Dionisia einzusperren. Philipp seufzte; einem plötzlichen Einfall folgend, setzte er sich neben die alteFrau auf den Boden. Ihr feindseliger Blick folgte ihm und blieb auf ihm ruhen; dies war das einzige Indiz, daß sie über seine Handlungsweise erstaunt war.
Philipp wies mit dem Kopf hinter sich auf die geschlossene Tür. »Geht es ihr gut da drin?« fragte er.
»Sie schläft jetzt«, erwiderte die Frau kurz.
Philipp nickte. »Gut.«
»Sie braucht danach viel Schlaf«, erklärte die Alte ungefragt.
»Was ist zwischen den Männern vorgefallen?« Philipp erwartete nicht wirklich eine Antwort. Daß die Alte ihm dennoch stockend Auskunft erteilte, wunderte ihn. Ihr Gesicht blieb dabei starr und abweisend. Vielleicht hatte sie das Gefühl, jemand müsse die wahren Geschehnisse erfahren, und es war leider nur Philipp in der Nähe.
»Sie haben sich gestritten; schlimmer denn je«, sagte sie. »Sie stritten sich jedesmal, wenn Herr Ernst hier war, aber dieser Streit war der übelste von allen.« »Ernst war schon öfter hier?« unterbrach Philipp. Die Alte warf ihm einen ungehaltenen Blick zu. Ihr runzliger Mund verkniff sich, als wäre sie über die Unterbrechung zu verärgert, um weiterzusprechen. Endlich tat er sich doch wieder auf.
»Natürlich«, sagte sie. »Was glaubst du denn? Seit sie mich hierher befohlen haben, um mich um das Kind zu kümmern, ist er immer wieder dagewesen. Heute morgen begannen sie schon zu streiten, als sie gerade aufgewacht waren. Wahrscheinlich haben sie nur einen Streit von gestern nacht fortgesetzt; ich weiß es nicht, denn ich bin früh schlafen gegangen. Meine Hände schmerzen mich jeden Tag; schau bloß, wie aufgequollen die Knöchel sind, es beißt und wütet darin wie zehn kleine Teufel. Ich dachte,wenn ich mich schlafen lege, dann spüre ich den Schmerz nicht. Außerdem war ich müde: den ganzen Tag herumgelaufen und Essen gemacht und Kräuter gepflückt. Auf mich nimmt man ja keine Rücksicht.«
Sie brach ab und funkelte Philipp zornig an, als wäre er für ihr Ungemach verantwortlich. Unvermittelt fuhr sie wieder zu sprechen fort: »Herr Ernst schalt ihn, er solle mit dem Geflenne aufhören, ihre Arbeit sei ja bald getan. Wenn jetzt noch jemand dahinterkäme, dann nur aus Dummheit. Und um Dummheiten zu verhindern, dazu halte er sich hier auf.«
»Welche Arbeit? Und wer solle hinter welches Geheimnis kommen?«
»Was weiß ich. Glaubst du, mir sagt jemand etwas in diesem Bau? Wer merkt denn überhaupt, daß ich da bin? Wie glaubst du habe ich das alles mitbekommen? Ich war mit den beiden im Saal, aber keiner sah mich auch nur an.« Sie setzte sich schnaufend zurecht, so als ob sie ihrer Empörung durch eine andere Körperhaltung Ausdruck verleihen müßte. »Willst du nun hören, was ich zu erzählen habe, oder nicht?«
»Natürlich will ich es hören.«
»Dann rede mir nicht dauernd drein. Wo war ich?«
»Ernst sagte, er sei hier, um Dummheiten zu verhindern.«
»Ach ja. Mein armes Spätzchen«, seufzte sie scheinbar zusammenhanglos, »arme Dionisia, mit der jeder umgeht, wie es ihm gefällt. Herr Ernst sagte, es sei unter anderem eine Dummheit, das Mädchen hier zu lassen. Sie gehört schon lange unter die Haube, erklärte er, und Herr Radolf solle sie schleunigst mit irgendeinem Burschen verheiraten, bevor sie irgend etwas Unberechenbares anstelle.«
Philipp runzelte unwillig die Stirn.
»Sie würde nicht herumschnuppern und ihnen hinterherspionieren, sagte Herr Radolf, und ich kann dir sagen, da war er schon ganz schön wütend. Er verlangte, daß Herr Ernst seine Tochter aus dem Spiel lassen solle. Der verspottete ihn und sagte: Deine Tochter ? Hör doch auf damit!«
Philipp hielt den Atem an und wartete, daß die Alte eine Bemerkung dazu machen würde. Aber
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