Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
ausgerottet sind.«
»Und wenn schon. Die Kirche hat länger Zeit als ein paar Jahrzehnte! Hier geht es nicht darum, einem bestimmten Papst die Machtfülle in die Hand zu geben, die er verdient, oder einem bestimmten Kaiser die Führung der Christenheit zu entwenden. Hier geht es um ein Prinzip. Und wenn dieses Prinzip endlich durchgesetzt ist, wird Friede herrschen und Einigkeit unter der Christenheit.«
»Ein Friede, zu dessen Erreichung die Christenheit durch ein langes Tal der Tränen wandern wird.«
»Weil Frederico sich nicht geschlagen geben wird? Was soll’s, er kämpft auf verlorenem Posten. Eines Tages wird es jedem Kaiser ganz selbstverständlich sein, daß der Heilige Vater ihm die Krone aufsetzt anstatt umgekehrt, und dann ist das Ziel erreicht.«
»Das meinte ich nicht. Ich meine, daß der Antichrist siegen wird, wenn der Kaiser ihm nicht Einhalt gebietet und so den Weg für die Wiederkunft Christi freimacht. Der Kaiser führt uns in die Arme des Herrn.«
»Mein Lieber, es gibt genügend Christen, die den Kaiser selbst für den Antichristen halten.«
»Er ist es nicht, das wißt Ihr so gut wie ich!«
»Wollen wir uns darüber streiten? Oder darüber, daß der Papst den Antichrist nicht ebensogut in den Höllenschlund stürzen und den Weg für den Erlöser bereiten kann?«
»Diese Macht hat er nicht.«
»Aber Ihr seht doch, welche Macht er hat. Zweifelt nicht daran, und unterschätzt sie vor allen Dingen niemals. Der Papst ist die Kirche, und die Kirche hat alle Macht, weil sie Menschen statt mit dem Schwert mit dem Glauben zähmt.«
»Ich kann das trotzdem alles nicht glauben. Ich bin ein rationaler Mensch. Ich muß einen Beweis in Händen halten.«
»Also gut. Ich werde Euch einige der Dokumente zeigen, die abgeändert wurden.«
»Großartiger Beweis!«
»Und«, fuhr der andere unbeirrt fort, »ich werde Euch das Werkzeug zeigen, anhand dessen die Veränderungen vorgenommen wurden.«
»Das Werkzeug?«
»Seht Ihr, wenn eine Fälschung in einem solchen Ausmaß vorgenommen wird, dann verliert man leicht den Überblick. Man muß – wie soll ich sagen – Meilensteine setzen, sonst kommt alles durcheinander. Nehmen wir an, ich möchte Dokumente anfertigen, die bestimmte voneinander getrennte Vorfälle in einen ganz anderen zeitlichen Zusammenhang bringen – zum Beispiel, weil es um Testamentsstreitigkeiten geht oder um Schenkungen, die angezweifelt werden. Das bedeutet, daß ich alle anderen Dokumente, die mit irgendeiner der zu ändernden Unterlagen verknüpft sind, ebenfalls um den entsprechenden Zeitraum verändern muß, wenn meine Fälschung nicht schon nach kurzem Archivstudium auffliegen soll. Wie soll ich aber später, wenn ich etwa die wahren Ereignisse nachvollziehen muß, deren richtigen Zusammenhang noch feststellen können? Oder auch nur überprüfen, ob ich alles richtig gemacht habe? Ganz einfach: Ich suche mir irgendeinen zeitlich genau bestimmbaren Vorfall, natürlich einen, der völlig unabhängig von denen ist, die ich zu ändern wünsche, und nehme dessen Datum als Ausgangspunkt. Für alle Änderungen der Dokumente, die mit dem Ereignis Soundso zusammenhängen, habe ich zwei Jahrevom Datum meines ›Werkzeugdokumentes‹ zurückgerechnet; für alle Änderungen des Ereignisses Diesunddas dagegen drei Jahre. Drei Jahre, dreißigjahre, dreihundert – die Spanne ist vollkommen egal. Ich muß es mir nur noch auf meinem Werkzeugdokument in geeigneter Weise vermerken, und ich finde von allen Änderungen die ursprünglichen Daten wieder.«
»Reichlich kompliziert.«
» Selbstverständlich.«
»Und Ihr würdet mir dieses Dokument zeigen?«
»Es sind mehrere Dokumente. Ich werde sie Euch zeigen.«
»Ich könnte mein Wissen verwenden, die ganze Geschichte zu verraten.«
»Mein Freund, dazu ist es zu spät. Wenn Ihr sie gesehen habt, werdet Ihr den einzigen möglichen Weg erkennen, der Euch bleibt: Ihr werdet Euch uns anschließen.«
»Wieso seid Ihr da so sicher?«
»Das zeigt mir der Umstand, daß Ihr hierhergekommen seid, um mit mir zu reden.«
»Es könnte Neugier gewesen sein; vielleicht, um mir bestätigen zu lassen, was ich längst weiß.«
Es folgte ein kurzes, beredtes Schweigen. Rasso hatte das Gefühl, daß die beiden sich gegenüberstanden und eindringlich musterten. Er wagte nicht mehr hinzusehen. Schließlich sagte der Kanzler: »Ich wende mich wieder an Euch.«
Rasso schielte vorsichtig über seine Schulter zurück. Der Kanzler strebte bereits mit eiligen
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