Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
Unterlagen eine Befreiung von ihren Schulden bei ihnen erhoffen.«
»Ach, macht Euch doch nicht lächerlich. Wenn die Herren sich Befreiung von ihren Schulden erhofften, brauchten sie dem König oder dem Herzog nur so lange in den Ohren zu liegen, bis er die Juden vertreibt oder enteignet.«
Langsam gingen Rasso die Kerzen aus. Die beiden Männer wanderten in einem kleinen Kreis vor dem Reliquienschrein auf und ab. Er beobachtete den Gesprächspartner des Kanzlers scharf, der Sinn seiner Rede teilte sich ihm zwar nicht mit, aber wohl, daß sein Respekt vor Peter von Vinea nicht so groß war, wie es dem Kanzler nach Rassos Meinung gebührt hätte. Fiebrig vor Nervosität wartete Rasso darauf, daß der andere eine Bewegung machte, die ihn als Attentäter verriet. Seine neuerworbene Glatze war schweißnaß. Er senkte die Lider und verfolgte die auf und ab schreitenden Männer mit den Augen; was er nicht bemerkte, war, daß einer der weiten Kuttenärmel mit einer Kerzenflamme in Berührung geriet und zu glimmen begann.
»Sicherlich gehen etliche der Judenverfolgungen auf das Konto von Gläubigen, die dem Erlöser bei seiner Wiederkunft den Anblick seiner Mörder ersparen zu müssen glauben. Aber diese Unseligen erschlagen planlos Männer, Frauen und Kinder. Die planvolle Auslöschung des jüdischen Schrifttums hat nichts mit solchen selbsternannten Missionaren zu tun.«
Der brenzlige Geruch erreichte Rassos Nase, bevor der Schmerz seinen Arm versengte. Er jaulte erschrocken auf und schlug den schwelenden Fleck an seinem Ärmel aus. Die Kerzen auf dem Ständer hüpften in alle Richtungen davon und kollerten über den Boden. Der Gesprächspartner des Kanzlers fuhr herum und warf Rasso einen scharfen Blick zu. Rasso erstarrte. Die Augenbrauen des Kanzlers zogen sich drohend zusammen. Selbst in seinem Schreck fiel Rasso auf, daß des Kanzlers Gesprächspartner erblaßt war.
»Was machst du hier, Bruder?« fragte er Rasso heftig.
»Ich ... ah ... der Dom ... ah ... ich bin ... ich muß ...«, O mein Gott, was war die richtige Antwort? Die beiden Männer starrten ihn an. Burchardts Anweisungen fielen ihm ein. »Gott segne dich«, sprudelte er hervor.
»Ich glaube, der Kerl ist ein wenig beschränkt«, sagte der Gesprächspartner des Kanzlers. Der Kanzler nickte verdrossen.
»Also, warum hebst du nicht die Kerzen auf und entzündest sie wieder? Ohne die halbe Kirche abzubrennen?«
»Gott segne dich«, stammelte Rasso, der beschlossen hatte, auf sicherem Terrain zu bleiben.
Der Gesprächspartner des Kanzlers seufzte. »Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.« Er trat ein paar Schritte beiseite und wartete, daß der Kanzler ihm nachfolgte. Rasso bückte sich und begann mit zitternden Händen die Kerzen aufzuklauben.
»Ich wundere mich, daß die Kirche die Furcht vor der Wiederkunft Christi nicht mehr anheizt«, hörte er den Kanzler sagen.
»Die Kirche wird nichts dergleichen tun. Nein, denkt doch nach: Wenn die Dokumente in den Klöstern und Kirchen abgeändert sind, wenn die Archive der Abteien nur noch das Material enthalten, das die Vernichtung des Kaisers und das Ende der kaiserlichen Machtfülle für immer einleitet, dann werden auch die weltlichen Archive über kurz oder lang dazu übergehen, dieses Material zu übernehmen. Wer würde das Wort der Kirche bezweifeln, besonders wenn es schriftlich bezeugt ist? Die einzigen, die sich an ihre eigenen Überlieferungen klammern und dabei nicht irritieren lassen, sind die Juden. Und ihnen geht es so wie denen, die sich nicht aus dem Einfluß des Kaisers lösen. Wer nicht weicht, wird fallen. Hier in Köln und anderswo, auf viele verschiedene Arten und Weisen – Verleumdungen, provozierte Aufstände, falsche Anklagen, wenn es sein muß fanatisierter Pöbel, der den vermeintlichen Ritualmord an einem kleinen Kind rächen will. Das Ergebnis wird immer das gleiche sein: Die Schriften der Juden verbrennen.« »Das ist widerlich.«
»Das ist Politik. Und außerdem im Sinn der Christenheit. Ich halte es für besser, ein paar Andersgläubige zu opfern, damit die Selbstzerfleischung des Christentums über der Frage, wer sie führen darf, endlich aufhört. Es gibt nur einen Hirten über das Volk des Erlösers: den Papst.«
»Aber Ihr könnt doch nicht glauben, daß dies alles in der Lebensspanne des jetzigen Papstes zu Ende zu bringen ist. Selbst wenn alles so funktioniert, wie Ihr sagt, dauert esdoch Jahrzehnte, bis die alten Überzeugungen
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