Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
hinein. Und wenn dich einer grüßt, vergiß nicht zu sagen: Gott segne dich.«
»Gott segne dich«, wiederholte Rasso ohne Begeisterung.
»Hervorragend. Aus dir hätte was werden können.«
Eine Anzahl von Pilgern drängte als letzte aus dem Dom heraus, während die Glocken noch das Ende der Frühmesse verkündeten. Rasso wartete ungeduldig, daß sie den Eingang in den Dom freigaben. Die Pilger schwenkten Beutel und Fläschchen mit dem Staub und dem Öl der Reliquienschreine. Ein Kaplan verteilte aus Blei und Zinn gegossene Pilgerabzeichen, die die Heiligen Drei Könige darstellten.
»Morgen pilgern wir weiter nach Aachen«, hörte er einen Pilger sagen, »zum Grab von Karolus Magnus.«
»So bald schon? Willst du nicht noch hierbleiben?«
»Nein, auf keinen Fall. Es pilgern so viele zu Karolus’ Grab, seit der Kaiser Rotbart ihn hat heiligsprechen lassen. Wenn ich zu lange warte, werden so viele Menschen in Aachen sein, daß man den Schrein nicht mal von weitem sieht.«
»Aber eine Geißlerprozession soll heute in Köln eintreffen. Du kannst dort von deinen Sünden losgesprochen werden.«
»Tatsächlich?«
»Ja! Angeblich kommen sie aus dem Süden. Es heißt, sie wollen vor den Toren der Stadt eine Geißelstatt errichten und laden die Bürger ein, mit ihnen zu büßen.«
»Ziehen sie weiter nach Aachen? Wir würden uns ihnen gern anschließen. Wir sind nur zu dritt: meine Frau, ihr Bruder und ich.«
»Ich weiß nicht. Sie nehmen Brüder nur für dreiunddreißig Tage auf, und du mußt jeden Tag vier Pfennige bezahlen. Aber wenn du zu ihnen gehörst, tut dir keiner mehr was; die Geißler sind heilig. Oh, Verzeihung, Bruder.« Er hatte Rasso grob angerempelt. Rasso bleckte die Zähne, bis ihm sein Text wieder einfiel. »Gott segne dich.«
»Und dich, Bruder.« Der Pilger lächelte und eilte weiter. Rasso sah ihm nachdenklich hinterher.
Die Kirche war fast leer; nur beim Schrein der Heiligen Drei Könige stand eine Handvoll Pilger und sammelte Staub von der Oberfläche des Schreins ein. Rasso stellte sich neben sie. Er fühlte die Nervosität in sich steigen. Burchardt hatte ihm aufgetragen, sich so zu verhalten, als gehöre er zu den Dienern der Kirche, und sich dabei keinesfalls so weit vom Kanzler zu entfernen, daß er ihn nicht mehr schützen konnte. »Wenn dich einer wegschicken will, tust du am besten so, als seist du taub oder blöd. Wird dir ja nicht schwerfallen«, hatte Burchardt gesagt. Er sah sich um. Der Kanzler war nirgends zu sehen. Hoffentlich erkannte er ihn überhaupt; bislang hatte er ihn nur einmal gesehen, und das von weitem. Beunruhigt fragte er sich, was er tun sollte, wenn jemand einen Dolch oder ein Schwert gegen den Kanzler zuckte. Er hatte Burchardt nicht danach gefragt. Rasso starrte den Reliquienschrein an und wünschte sich, Fulcher wäre hier. Fulcher war rascher beim Denken als er. Heilige Könige, dachte er, wenn Fulcher noch lebt und es mir gegeben ist, ihn zu retten, dann helfi mir dabei. Amen. Er befeuchtete seinen Finger und sammelte ein wenig Staub auf, um sich damit zu bekreuzigen.
Die Kirche begann sich weiter zu leeren. Die Pilger verließen die Reliquien. Beim Altar tauchte ein Laiendiener auf und begann, die Kerzen auszulöschen. Rasso beobachtete ihn und beschloß, sie wieder anzuzünden, sobald er weg war. Es schien ihm eine gute Möglichkeit, Beschäftigung vorzutäuschen. Er angelte eine brennende Kerze aus einem Halter und hielt sie in der Hand, damit sie nicht gelöscht wurde. Es kam darauf an, nicht als derWächter des Kanzlers aufzufallen. »Immer schön im Hintergrund bleiben«, hatte Burchardt gesagt.
Als der Kanzler durch einen Seiteneingang die Kirche betrat, fragte sich Rasso, wie er hatte fürchten können, seinen Herrn nicht zu erkennen. Die hochgewachsene, dunkel gekleidete Gestalt bewegte sich forsch zum Reliquienschrein der Heiligen Drei Könige und blieb dort stehen. Er kniete nieder, machte das Kreuzzeichen und blieb einen Moment auf den Knien, bevor er sich wieder aufrichtete. Dann schien er im Gebet zu versinken. Rasso hatte er einen ausdruckslosen Blick zugeworfen. Wahrscheinlich würde sein geheimnisvoller Gesprächspartner jeden Moment durch einen anderen Eingang hereinschleichen. Rasso trat zu den gelöschten Kerzen und begann sie mit seinem brennenden Docht anzuzünden. Unter der Kapuze spähte er vorsichtig zu Peter von Vinea hinüber. Der Kanzler sah ihn kurz an und machte eine unauffällige Handbewegung, als würde er eine Kappe
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