Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
schuftete er wie verrückt, um vor dem Einbrechen des Abends fertig zu werden. Er half Dionisia, die von selbst aus dem Zuber gestiegen war und sich in ihr verschmutztes Nachtgewand gehüllt hatte, ins Innere des Hauses hinein und geleitete sie in die Küche hinunter, in der das Feuer loderte und einen Hauch von Wärme verbreitete. Er lotste sie um den Fleck auf dem Boden herum, den die Alte hinterlassen hatte, und setzte sie vor das Feuer. Dann, weil er schon einmal dabei war, wischte er mit einem Teil des heißen Wassers und ein paar Strohbüscheln den Fleck, so gut es ging, vom Boden, weil er bereits ahnte, daß niemand sonst es tun würde und er wußte, daß der Fleck ihn während der Nacht unheimlich stören würde. Als nächstes stieß er den Leichnam des Hausherrn in die Grube, die Philipp und er geschaufelt hatten, und häufte Erde auf ihn. Die Alte, die sie ebenfalls in Tuch gehüllt und neben der Kapelle niedergelegt hatten, war nicht mehr unter die Erde zu bringen; Galbert schaffte sie, als die Dämmerung bereits mit Macht herniedersank und die Schatten im Hof miteinander verwob, in die Kapelle und betrachtete sie dort als richtig aufgebahrt. Schließlich trat er aus der Kapelle, schlug ein Kreuzzeichen und murmelte ein Paternoster in vom vielen Hören falsch auswendig gelerntem Latein.
»Geht ins Haus hinein«, sagte Philipp sanft zu Aude, deren Gesicht im schwindenden Licht neben ihm zu schweben schien. »Galbert hat das Feuer im Kamin sicher nicht ausgehen lassen. Ich werde ihn begraben, so wie es sich gehört.«
Aude schüttelte den Kopf, ohne zu sprechen. Ihr Blick wich nicht von dem offenen Grab und der verhüllten Gestalt.
»Es hat keinen Sinn, daß ihr Euch das Fieber holt. Die Erde ist hier kalt und feucht. Er ist tot, und nichts kann ihn wieder lebendig machen, Aude.«
»Woran ist er gestorben, Philipp?« fragte sie plötzlich. Ihre Stimme klang fest, aber mittlerweile hatte er feine Ohren für ihre Gemütslagen entwickelt und hörte das leise Schwanken darin. Er zuckte mit den Schultern.
»Lügt mich nicht an«, sagte sie. »Ich habe bemerkt, daß ihr sein Leichentuch hastig zurechtgerückt habt. Was sollte ich nicht sehen?«
Philipp seufzte.
»Was immer Euer Mann mit Radolf zu tun hatte, sie waren keine Freunde«, sagte er schließlich. »Oder sie waren es nicht mehr.«
»Hat er ihn ... getötet?«
»Er und Ernst Guett’heure, vermute ich.«
»Aus welchem Grund?«
Philipp rutschte unruhig hin und her und kämpfte mit sich. Zuletzt stand er auf und stapfte vor dem Grab auf und ab. Aude hob den Kopf und beobachtete ihn scharf. In der Dunkelheit war nicht zu erkennen, ob sie den Tränen endlich nachgegeben hatte oder ob ihre Augen noch immer trocken waren. Philipp dachte an die Hand des Toten, die das verrutschte Tuch freigegeben hatte. Er hatte das Tuch schnell zurechtgerückt, bevor Aude auf allen vieren nach vorn gekrochen war und ihrem toten Gemahl ins Gesicht gestiert hatte. Sie hatte nicht gesehen, daß die Hand keine Fingernägel mehr besaß und jeder Finger mehrfach gebrochen war. Er wünschte, er hätte es auch nicht gesehen.
»Radolf wagte sich nicht mehr in den Keller seines Hauses hinunter. Ernst sagte bei einem Abendessen beiläufig, von dem Verräter drohe ihnen keine Gefahr mehr. Ich kann es erst jetzt zusammenfügen. Der Verräter war Euer Mann, und Radolf wagte sich nicht mehr hinunter, weil er Angst vor dem Geist des Menschen hatte, der dort unter seiner Mitwirkung zu Tode gefoltert worden war.« Er starrte ihr ins Gesicht und sah nun doch, wie zwei Tränenspuren aus den fassungslosen Augen rannen und unbeachtet über ihre Wangen liefen. Er breitete die Arme aus und atmete zitternd ein.
»Ich wollte, ich hätte schönere Worte gefunden, Aude«, sagte er rauh.
»Warum haben sie ihm das angetan?« fragte sie mühsam.
»Er wußte etwas über sie. Etwas, das entweder mit Radolfs sorgsam gehütetem Geheimnis zu tun hatte oder mit Ernsts Aktivitäten und das er dem Kanzler mitteilen wollte. Jedenfalls war es für sie wertvoll genug, um mitGewalt herauszufinden, wieviel von seinem Wissen er schon preisgegeben hatte und ihn danach ... nun, zu ermorden. Es tut mir leid.«
»Ihr habt immer geglaubt, er sei ein Schurke.«
»Was immer er war, er hat nicht dieses Ende verdient.«
Gleich Aude starrte Philipp wieder zu der umwickelten Gestalt hinab und versuchte, Minstrels blasses, kluges, vom Lachen in tausend Falten gelegtes, lebendes Gesicht zu verscheuchen. Er fühlte
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