Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
Philipp rauh. »Könnt Ihr Euch erinnern, daß wir über Renata herausfanden, daß Radolf während des Pilgerzugs niemals im Heiligen Land war? In dieser Zeit plante er dieErmordung seines Herrn; er sandte sogar Nachricht von seinem Tod nach Hause, obwohl dieser noch lebte und im Heer des Kaisers gegen Jerusalem zog. Vielleicht hoffte er, sein Herr würde im Heiligen Land umkommen; als dieser Umstand nicht eintrat, mußte er selbst Hand anlegen. Er zwang Lambert, ihm dabei zu helfen. Ernst wurde – gewollt oder nicht, ich weiß es nicht – Zeuge dieses Mordes. Radolf hatte inzwischen die Frau seines Herrn geheiratet; er wurde für Dionisia, die noch ein kleines Kind fast ohne Erinnerung an ihren Erzeuger war, zum Vater. Die Bewaffneten seines Herrn entließ er aus ihrem Dienst. Dionisia erzählte mir, daß sie eine vage Erinnerung an bewaffnete Gefährten auf dem Hof hatte. Radolf konnte sie nicht mehr gebrauchen – sie erinnerten ihn zu sehr an seine Herkunft. Er behielt nur Lambert bei sich, den er durch die Beihilfe zu dem Mord an sich gebunden hatte. Die Dörfler kümmerten sich wahrscheinlich nicht darum, wer hier im Haus das Sagen hatte – Radolf war nichts als ein neuer Herr, dem sie wie dem alten Herrn ihre Abgaben zu liefern hatten.«
»Woher wißt Ihr das alles?« fragte Aude.
Philipp holte das Pergament aus seinem Wams.
»Die Hälfte steht hier drinnen. Die andere Hälfte habe ich mir aus Lamberts Beichte und aus den Worten des Kanzlers zusammengereimt.«
»Was ist das für ein Bekenntnis?«
»Eine Denunziation aus Ernsts Hand, gerichtet an Peter von Vinea persönlich. Bis vorhin dachte ich, der Kanzler wüßte all das bereits und sei der Hintermann, mit dem Ernst über die Brieftauben in Verbindung stand. Offensichtlich steckt jemand anderes dahinter. Peter von Vinea scheint es ernst gemeint zu haben, als er sagte, Radolf seiein vortrefflicher Diener des Reichs.« Er schnaubte unlustig. »Dieses Bekenntnis hier hätte Radolf schneller das Genick gebrochen als der Kanzler. Ich habe mich wohl in Euch geirrt, hätte sagen können.«
»Welche Nachrichten hat Ernst mit Brieftauben versandt?« »Er informierte seinen Auftraggeber über den fortschreitenden Verfall Radolfs. In seiner letzten Botschaft, der, die er nicht mehr abschicken konnte, schrieb Ernst, Radolf sei zu einem Unsicherheitsfaktor geworden und er warte auf Anweisungen. Er erwähnte, daß er im Falle ihres Ausbleibens wie geplant gegen Radolf vorgehen würde. Ich nehme an, diese Denunziation war, was er gegen Radolf einsetzen sollte. Radolfs ganze Geschichte, vom Mord an seinem Lehnsherrn bis zur Hochzeit mit dessen Witwe, steht dort verzeichnet. Ernst muß das Pergament gut versteckt haben. Ich fand es nicht, als ich seine Sachen durchsah. Aber Dionisia hat es gefunden. Wahrscheinlich hat dieses Schreiben den letzten Rest ihrer Vernunft davongefegt.« Er seufzte. »Sie hat ihren Vater gerächt. Ich hätte es verhindern können, wenn ich hiergeblieben wäre.«
»Es war nicht deine Angelegenheit«, sagte Galbert nach einer langen Pause.
»Warum hat Radolf das alles getan?« fragte Aude.
»Ich weiß es nicht. Der Kardinal sprach davon, daß Radolf in bedingungsloser Liebe seinem Weib ergeben war. Wenn wir annehmen, daß er damit die Frau seines ehemaligen Herrn meinte und in dieser Hinsicht nicht gelogen hat, dann war es wohl ein Mord aus Liebe. Er beseitigte den Mann, um die Frau zu bekommen.«
»Sie hat den Mörder ihres Gemahls geheiratet«, sagte Aude schaudernd.
»Und sie wußte, wer er war«, sagte Philipp hart.
»Wieso glaubt Ihr das?«
»Weil sie sonst Radolf niemals zum Mann genommen hätte. Der Besitz war früher wohlhabender; es hätte sich mit Sicherheit ein standesgemäßer Nachfolger gefunden – oder ihre Familie hätte ihn übernommen und sie ins Kloster geschickt. Die Heirat mit Radolf war der unlogischste Schritt von allen. Sie muß ihn geliebt haben wie er sie, und ich nehme an, sie haben die Tat gemeinsam geplant.«
Aude sah sich um und betrachtete das Haus, den verwilderten Hof, den baufälligen Stall und den kleinen Friedhof neben der Kapelle. Sie zog die Schultern hoch, als sei ihr kalt.
»Es hat ihnen keinen Frieden gebracht«, sagte sie.
»Nein. Und wie groß auch die Liebe zwischen ihnen gewesen sein mag: Die Tat, die zu ihrem gemeinsamen Leben geführt hatte, fraß sie auf. Ich denke, als jedes Kind, das Radolf mit Katharina zeugte, starb, war zumindest sie davon überzeugt, daß Gott ihre Sünde
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