Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
mir die Papiere ausgehändigt hätte?«
»Ernst hätte eine Botschaft erhalten. Es hätte wie ein Jagdunfall ausgesehen.«
»Vielleicht hätte es Ernst nicht getan.«
»Oh, es hätte Mittel und Wege gegeben, auch einen Ernst Guett’heure zu etwas zu zwingen, was er nicht gerne tun wollte.«
»Wollt Ihr die Wahrheit wissen?«
»Selbstverständlich.«
»Ihr kotzt mich an.«
Der Kardinal legte Philipp eine Hand auf die Schulter und sagte freundlich: »Philipp, normalerweise würde ich eine solche Beleidigung damit beantworten, daß ich dem Mann, der sie ausspricht, seine herausgerissene Zunge um den Hals hängen lasse. Das gilt auch für die Leute, die mich ein Schwein nennen. Du aber«, fahr er lächelnd fort, »du bist kein Mann, sondern mein Werkzeug, und wie könnte ich beleidigt sein, wenn ein Stück Zeug quietscht, sobald man darauf tritt?«
Der Tag wurde heiß, wie es der Morgen angekündigt hatte, und am Nachmittag stand die Luft drückend über den Feldern. Sie kamen nur langsam voran; Giovanni da Uzzano schien es nicht eilig zu haben. Vielleicht genoß er seinen Triumph. Als sie in den Wald eintauchten, wurde ihnen endlich Erleichterung zuteil. Die Bewaffneten mit ihren Kettenhemden und den Helmen auf den Köpfen atmeten hörbar auf. Selbst der Straßenstaub stieg hier nicht so hoch. Die Vögel schienen die Kühle des Waldes ebenfallszu schätzen; ihr Konzert war vielstimmiger als draußen, wo nur das schrille Gezirpe der Lerchen zu hören gewesen war, die über den Feldern auf und ab schnellten, ein Ton, der Philipp an dünne, ferne Schreie erinnert und seinen Körper mit einer Gänsehaut bedeckt hatte. Der Wald war ein dichter Mischwald, fast einem Urwald gleich links und rechts des Weges, und der Weg führte flach hindurch, ein Zeichen, daß er niemals stark frequentiert gewesen war und keine Gelegenheit gehabt hatte, sich tiefer in den weichen Waldboden einzugraben und zu einem Hohlweg zu werden. Das Gesträuch entlang des Wegs, das bei häufiger bereisten Straßen oftmals zurückgestutzt wurde, um die Sicht der Reisenden zu erweitern, wucherte ungehemmt und wild. Der Kardinal hatte sich wieder an die Spitze gesetzt, mit der gemurmelten Bemerkung, er wolle Philipps Schweigen respektieren. Die Hufe seines Pferdes zerwühlten den Boden, den Philipp rriit starren Augen nach den unleserlichen Spuren der Gruppe absuchte, die vor ihnen durch den Wald geritten war, als könnte er darin erkennen, welche der Huftritte von Audes Pferd stammten.
Giovanni da Uzzano zügelte so plötzlich sein Pferd, daß Philipps Gaul in es hineinrannte und erschrocken zur Seite sprang. Philipp hielt sich am Sattelrand fest und blickte überrascht auf. Eine berittene Gestalt stand auf dem Weg, das gesprenkelte Sonnenlicht ein flimmernder Vorhang auf seinem Mantel und dem Fell seines Pferdes. Das Pferd keuchte und schäumte um die Trense; es war hart geritten worden.
»Raimund«, sagte der Kardinal erstaunt.
»Ich habe es mir anders überlegt, Giovanni«, sagte Philipps Herr. »Philipp kommt mit mir.«
Der Kardinal schwieg einen langen Augenblick. »Was soll das bedeuten, Raimund?« fragte er dann langsam.
»Was ich gesagt habe. Philipp wird weder in ein Kloster eintreten noch zu Euren Diensten sein. Ich hatte Zeit nachzudenken.«
»Aber wir haben mit dem Kanzler vereinbart ...«
»Der Kanzler kann mir gestohlen bleiben. Er soll sehen, daß er mit seinem Herrn ins reine kommt, wenn die ganze Geschichte erst bekannt wird.«
Giovanni da Uzzano wandte den Kopf hin und her und suchte den Wald ab. Raimund schien allein zu sein, aber die zusammengekniffenen Augen des Kardinals verrieten, daß er nicht daran glaubte.
»Raimund, seid vernünftig«, sagte er drängend.
»Ich war noch nie so vernünftig wie jetzt.«
Der Kardinal seufzte. Was er erwiderte, schien ihm schwerzufallen. Er sagte: »Ich habe Euch noch niemals bedroht, Raimund. Zwingt mich nicht jetzt dazu.«
»Ihr braucht mich nicht zu bedrohen. Ich bedrohe Euch. Gebt mir meinen Truchseß heraus, oder Ihr werdet es bereuen.«
Giovanni da Uzzano schwankte im Sattel hin und her. Eine dunkle Röte schoß plötzlich in sein Gesicht, und er ballte die Fäuste und schrie: »Womit bedroht Ihr mich, womit? Ich habe acht Männer! Sie stehen dicht hinter Eurem Truchseß und brauchen ihm nur die Spieße durch den Leib zu rennen, bevor Eure Knechte auch nur eine Bewegung machen können. Selbst wenn Ihr mich kriegt, werdet Ihr ihn nicht wieder lebendig machen. Und Eure zwei
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