Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
am Ende der Welt wirst du mir dankbar sein, wenn ich dir eine Aufgabe stelle, die deinen Intellekt fordert. Und Aude wirst du bis dahin längst vergessen haben.«
Er wandte sich mit wehendem Mantel ab, noch bevor Philipp ein drittes Mal bitten konnte. Philipp ließ die Arme sinken. In diesem Moment wünschte er sich, man hätte ihnen tatsächlich im Schlaf die Kehlen durchgeschnitten. Er holte krampfhaft Atem und drehte sich zu Aude um. Aber sie wurde schon von Albert weggeführt, der sie mit einer geradezu galanten Geste am Ellbogen hielt und zu den Pferden führte, die für ihn und seine Gefährten bereitstanden. Es war ein leeres Pferd für Aude vorbereitet und drei weitere Tiere zum Wechseln. Die Bestie, sattellos und nicht zum Wechseln gedacht, war mit starken Lederbändern am Sattel von Alberts Pferd angebunden.
»Aude«, hörte sich Philipp sagen. Sie drehte sich nicht um. Sie hatte ihn vermutlich nicht einmal gehört. Albert bückte sich und faltete die Hände, um ihr in den Männersattel zu helfen. Sie deutete auf ihre bloßen Füße, und Albert bellte einen der ehemaligen Helfer Ernst Guett’heures an, der mit säuerlicher Miene seine Schuhe abstreifte und vor Aude auf den Boden stellte. Aude bückte sich und schlüpfte umständlich hinein, und Albert trieb die Galanterie so weit, sich dabei abzuwenden. Er wandte sein Gesicht wieder Philipp zu, der die Szene mit brennenden Augen beobachtete. Er blinzelte ihm ein zweites Mal zu, und bevor er sich abwandte, griff er sich mit einer gemütlichen Geste an den Schritt und wog sein Gemächt, als wolle er sicherstellen, daß es ihm zur Verfügung stand, wenn er es brauchte. Dann ritt Aude mit den fünf Männern zu Radolfs baufälligem Tor hinaus. Das letzte, was Philipp von ihr wahrnahm, war, daß sie noch immer sein Wams trug.
Sie verließen Radolfs Haus eine ganze Weile nach dem Ausritt von Albert mit seinen Gefährten und ihrer Gefangenen. Sie waren zu zehnt: Giovanni da Uzzano, Philipp und die acht Bewaffneten des Kardinals. Philipp nahm sich vor, sich nicht umzudrehen, aber er tat es doch, als sein Pferd über die Planken der kleinen Brücke ritt, und spähte an drei Bewaffneten, die hinter ihm ritten, vorbei. Die zwei Männer Raimunds standen noch immer bei ihren Pferden, die Blicke zum Tor hinaus gerichtet, um Philipp hinterherzusehen. Philipp suchte die massige Gestalt seines Herrn, aber der Eingang zum donjon war leer, das dunkle, gähnende Loch, das er immer gewesen war. Wahrscheinlich saß er in der Kapelle und spielte mit den Kleiderfetzen Katharinas oder roch an ihrem spröde gewordenen Haarzopf. Philipp fühlte die Galle in sich aufsteigen, aber er schluckte sie hinunter und speicherte sie. Er wußte, daß er sie noch brauchen würde; sie würde ihn aufrecht halten müssen für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre. Es war nicht leicht, seinen Zorn zu kultivieren, wenn man sich das vor Augen hielt; und noch weniger leicht, wenn man an Aude dachte, die mit zwei Wegstunden Vorsprung vor ihnen ritt, allein mit fünf Kerlen, die nach eigenem Bekunden nicht davor zurückgeschreckt waren, Frauen und Kinder niederzumachen. Bringt sie lebendig nach Mainz, hatte der Kardinal gesagt. Das war ein weiter Begriff. Aber denk nicht daran; denk an deinen Zorn. Er ist dein einziger Freund. Dein Herr hat dich verraten, Minstrel, Galbert und Thomas sind tot, Johannes ist der Gefangene seines eigenen Abts. Nicht einmal der Umstand, daß er Minstrel plötzlich zu seinen Freunden zählte, brachte ihn zum Lachen. Es gab nichts zu Lachen mehr, wie es keine Scherze mehr in ihm zu geben schien. Philipp ließ den Kopf hängen und fühlteetwas in sich aufsteigen, das heiß und würgend war, und er erkannte erstaunt, daß es Tränen waren. Er drängte sie zurück. Es schien die einzige Fähigkeit zu sein, die ihm noch verblieben war: seine Tränen zu unterdrücken.
Der Kardinal, der an der Spitze geritten war, lenkte sein Pferd zur Seite und wartete, bis Philipp ihn eingeholt hatte. »Es war nicht richtig, deinem Herrn den Abschied zu verweigern«, sagte er. »Er hat dich damals aus dem Kloster geholt und dir zu einem neuen Leben verholfen. Gestern hat er dich gerettet. Du hättest dich von ihm verabschieden sollen. Immerhin wirst du ihn nicht wiedersehen.«
Philipp sah nicht auf und gab auch keine Antwort.
»Du denkst, daß du alles verloren hast, nicht wahr? Aber in Wirklichkeit hast du gewonnen. Du hast dein Leben gewonnen. Der Kanzler wollte dich tot
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