Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
interpretiert oder unterdrückt hat. Deshalb rief der Papst das Konzil ein, das nur den einzigen Grund hatte, den Kaiser abzusetzen. Die Fälschungen, die sich über Jahre hinwegzogen, liefen überall reibungslos; bis auf das Herzogtum Niederlothringen. Radolf hätte beinahe alles über den Haufen geworfen mit seinem Versuch, die Geschichte dem Kanzler zu verkaufen.«
»Aber der Kardinal und der Kanzler waren doch verbündet.«
»Giovanni hat ihn zu einem Treffen im Dom gebeten und die Verschwörung aufgedeckt. Das war, wenn man so sagen will, Flucht nach vorn. Er hoffte, den Kanzler mit Hilfe von Radolfs Dokumenten zu überzeugen, daß jeder Widerstand gegen die Schachzüge der Kirche sinnlos sei und er den Kaiser nicht länger unterstützen solle.«
»Ich verstehe nicht, wieso er das riskiert hat. Er hatte Radolf doch durch Ernst bereits in seiner Hand.«
»Weil er erfahren hatte, daß noch jemand an den Kanzler herangetreten war und ihm etwas über eine Sache erzählen wollte, die den Thron des Kaisers in Gefahr bringe.«
»Minstrel.«
»Genau. Ernst hatte ihn zu diesem Zeitpunkt bereits getötet, aber Giovanni war nicht sicher, ob er nicht schon mit dem Kanzler gesprochen hatte. Er mußte in Erfahrung bringen, was Peter von Vinea wußte und vor allem für den Fall vorbauen, daß es noch jemanden dritten gäbe, der Ähnliches im Schilde führte.«
»Deshalb jagte er hinter Aude her, sobald er durch seine Kreaturen am Hof des Kanzlers erfahren hatte, daß sie sich ebenfalls in der Nähe befand.«
»Und deshalb war er so nervös. Während der letzten paar Tage sah es plötzlich so aus, als ob eine Aktion, die in jahrelanger Geduldsarbeit begonnen und fast fertiggestellt worden war, scheitern würde. Und er hätte dafür die Verantwortung getragen.«
»Ihr versucht noch immer, ihn zu verteidigen. Ihr wißt nicht, wie er mit mir gesprochen hat.«
»Ich weiß, daß er dich und mich hat laufenlassen.«
»Wie seid Ihr überhaupt in die ganze Geschichte gekommen?«
»Giovanni weihte mich in den Plan ein und bat um meine Hilfe.«
»Und Ihr habt Partei ergriffen, ganz gegen Eure sonstige Gewohnheit.«
»Zum erstenmal, seit ich von der Wallfahrt ins Heilige Land zurückgekommen bin. Giovanni überzeugte mich, daß ich mich nicht mehr heraushalten konnte. Er sagte, das tausendjährige Reich stünde vor der Tür, und es liegenicht zuletzt an mir, ob darin der Erlöser oder der Antichrist herrschen würde.«
»Warum habt Ihr Euch nicht auf die Seite des Kaisers gestellt? Seid Ihr auch davon überzeugt, daß er der Antichrist ist?«
Raimund schwieg einen Moment lang. »Giovanni erklärte mir seinen Plan, wie er an Radolfs Dokumente herankommen wollte«, sagte er dann, ohne Philipps Frage zu beantworten. »Ich schlug dich vor.«
»Warum mich?«
»Weil ... Du schienst der einzige zu sein, der diese Aufgabe erledigen konnte. Und es hätte den Kardinal auf ewig in deine Schuld gebracht. Du wärst seiner Unterstützung für immer sicher gewesen.«
»Es ist also nur zu meinem Besten geschehen«, höhnte Philipp.
Raimund antwortete nichts darauf. Er senkte den Kopf und betrachtete den Hals seines Pferdes. Beinahe begann Philipp, seine harten Worte zu bereuen.
»Ich glaube, da vorn kommen die Köhlerhütten in Sicht«, meldete Bruno von hinten. Er hatte sich im Sattel hochgereckt und spähte die Straße entlang. Dämmerung fiel bereits hernieder und löschte die Einzelheiten in den Schatten aus. Die Hütten waren drei kleine, leblose Klötze auf ihrer verbrannten Lichtung am Waldrand.
»Wir teilen uns«, befahl Raimund. »Jeder von euch dreien stellt sich vor einen der Hütteneingänge. Ich bleibe auf dem Pferd und rufe die Kerle heraus. So ist es egal, aus welcher der Hütten sie herausstürzen. Wir kriegen sie in den Griff. Wenn einer davonläuft, setze ich ihm hinterher.«
Sie lenkten die Pferde in den weichen Boden neben der Straße und näherten sich den Köhlerhütten bis auf wenigeDutzend Mannslängen, bevor Raimund ihnen befahl abzusitzen. Im großen Köhlerofen knackten Zweige, und je dunkler es wurde, desto deutlicher wurde durch die Öffnungen das schwache Glimmen der Glut in seinem Inneren sichtbar. Von den Hütten waren die ununterscheidbaren Geräusche zu hören, mit denen sich eine kleine Anzahl Menschen auf die Nachtruhe vorbereitet. Philipp spürte, wie die Blicke Raimunds des öfteren zu ihm abirrten. Er wußte, was sie bedeuteten; er versuchte sich auf die wenigen Laute zu konzentrieren und
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