Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
jedoch kein einziges menschliches Geräusch, noch nicht einmal den Gesang von den Feldern. Der Wind mochte ihn schlucken, so daß er ihr Ohr nicht erreichte; sie wußte es nicht. Sie hätte der letzte lebende Mensch auf Erden sein können. An diesem Punkt überfiel sie eine gähnende, so große und namenlose Furcht, daß weder Schmerz noch Durst noch Hunger dagegen bestehen konnten. Sie war ganz allein. Nicht einmal mehr Feinde umgaben sie. Die Atempause war vorüber; die Furcht hatte eine neue Qualität erreicht. Nicht lange danach kamen die Reiter. Es waren seit undenklichen Zeiten keine Reiter mehr in das Dorf gekommen, abgesehen von den Besuchen des Herrn, wenn er die Ernte überprüfte oder wenn jemand gestorben war, aber der Herr pflegte sich anzukündigen, damit die Dörfler alles für ihn bereit hätten. Außer ihm gab es als Besucher nur noch den Händler, und dieser ging zu Fuß. Agnes hörte die Hufe ihrer Pferde von weitem, noch bevor sie ihrer ansichtig wurde. Jeder Tritt schien auf ihr Herz zu fallen; sie fürchtete ihr Erscheinen mit der instinktiven Angst des Tieres, zu dem ihre Strafe sie reduziert hatte. Sie kamen aus der Richtung, in der die Kapelle lag, als seien sie direkt aus ihr hervorgetreten. Sie waren zu dritt. Agnes starrte ihnen gelähmt entgegen.
Die drei Reiter lenkten ihre Pferde auf sie zu, bis sie dicht vor ihr standen und ihre Schatten auf sie fielen. Aus ihrer zusammengekauerten Stellung sah sie zu ihnen empor. DieSonne blendete sie; sie konnte ihre Gesichter nicht erkennen. Vielleicht hatten sie keine Gesichter. Vielleicht schien das grelle Licht nicht vom Himmel, sondern aus ihren Augen und von ihren Häuptern.
»Was für ein merkwürdiger Vogel«, sagte einer der Reiter. »Ich würde sagen, er ist nach unten aus seinem Käfig herausgewachsen.«
»Ist das diejenige, die uns angekündigt wurde?«
»Ich nehme es an. Oder hast du noch anderswo einen derartigen Jammer erblickt?«
»Sie ist ja nur eine Bäuerin.«
»Der Teufel verbirgt sich in jeder Gestalt. Laß dich nicht von ihrem Äußeren täuschen.«
Die Reiter schwiegen. Agnes röchelte vor Angst und gab ein unartikuliertes Stöhnen von sich. Das Gleißen umgab die Reiter und ließ Tränen in ihre Augen treten. Eines der Pferde tänzelte unruhig und stampfte auf den Boden; es ragte riesengroß wie ein Drache vor ihr auf und schnaubte. Agnes wollte es scheinen, als schnaubte es Feuer.
»Die Dorfbewohner sind wohl alle auf den Feldern.«
»Wie man es uns angekündigt hat.«
In einen der Reiter kam plötzlich Bewegung. Er stieg von seinem Pferd ab und näherte sich ihr. Dicht vor ihr blieb er stehen, bückte sich und starrte ihr ins Gesicht. Sie konnte sein Antlitz nicht erkennen; das grelle Licht malte bunte Kreise vor ihre Augen. Alles was sie sah, war eine breite Gestalt.
»Da wir mit ihr allein sind, sollten wir vielleicht vorher unser Vergnügen mit ihr haben«, schlug einer der anderen Reiter vor. »Sie scheint noch nicht so alt und häßlich zu sein, wie die Dorfweiber es für gewöhnlich sind.«
»So weit man es unter dem nassen Kittel erkennen kann, hat sie prächtige Euter«, stimmte der zweite zu.
»Jetzt ist Schluß«, sagte der abgestiegene Reiter zornig. Er richtete sich auf. »Es ist wichtig, daß uns niemand sieht. Jeden Moment kann eine von diesen Dorfschlampen zurückkehren, um Wasser zu holen oder mit einem Balg niederzukommen. Wir tun unsere Arbeit und machen uns wieder aus dem Staub.«
»Es war nicht so gemeint. Ich habe nur Spaß gemacht.«
»Überleg dir lieber, wie wir es hinter uns bringen wollen.« »Wie schon: Wir stechen sie ab.«
»Ausgezeichnete Idee. Die Racheengel Gottes steigen hernieder, und es fällt ihnen nichts Besseres ein, als sie aufzuspießen wie ein Schwein.«
Die beiden Reiter, die noch auf ihren Pferden saßen, schwiegen einen Moment, bevor sie weitere Vorschläge machten. Agnes vermochte kaum, auf ihre Worte zu lauschen. Die Angst gellte in ihren Ohren. Ihre Augen starrten weiß aus ihrem schmutzigen Gesicht und huschten von einer der Gestalten zur anderen. Sie gurgelte etwas, ohne daß die Männer sie beachteten.
»Wir könnten sie erdrosseln.«
»Das geht nicht; die Maske ist im Weg.«
»Dann holen wir uns einen Prügel und erschlagen sie.«
»Ihr seid alle beide Idioten«, bellte der Reiter, der auf dem Boden stand. »Hört zu: ›Die Reden der Ketzer sind wie Staub im Munde, und ersticken sollen sie an ihren Worten‹ Was fällt euch dabei ein?«
»Ja, die
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