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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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der Hinterlassenschaft der Toten etwas finden würde, was seine Investitionen in diesen jetzt nutzlosen, kalten Leib wenigstens zum Teil rechtfertigte. Fand er nichts, konnte es sein, daß er das Kind mitnahm. Der Ehemann, jetzt der Witwer, stand währenddessen mit steinernem Gesicht außerhalb des Hauses und versuchte die Fassung zu bewahren und zu begreifen, warum gerade in sein Leben der Tod eingetreten war. Man hörte kein Kinderweinen aus dem Haus. Auch das Kind hatte den Versuch nicht überlebt, auf die Welt zu kommen.
    Die Gestalten der Zuschauer spannten sich, und Philipp, der befangen sein Pferd angehalten hatte, blickte wieder zur Öffnung des Hauses. Eine junge Frau bückte sich unter dem Türsturz durch und kniff die Augen gegen das Licht zusammen. Eine ältere Frau folgte ihr, bereits so krumm geworden, daß sie ohne weiteres durch die Tür paßte.
    Während die alte Frau in eine leidlich bessere Version der Kittelschürzen gekleidet war, die auch die Dorfbewohnerinnen besaßen, trug die junge Frau ein langes Kleid aus grünem Leinen. Das Kleid war um die Hüfte mit einem schmalen Stoffgürtel mit Rankenmuster gerafft, über den das lose fallende Oberteil hing. Dieses war hochgeschlossen und hatte keine Armel; die weiten Armlöcher waren mit schwarzem Samt eingefaßt. Das Hemd, das die junge Frau darunter trug und dessen Ärmel bis an ihre Fingerknöchel reichten, war von hellblauer, verblichener Farbe. Ihre gesamte Kleidung hatte bereits bessere Zeiten gesehen, von den abgestoßenen Rändern des Rocks, die ein gutes Stück auf den Boden aufstießen, bis zu dem grünen Stoffring, der ihre dunklen Haare festhielt und wie eine Krone auf ihrer Stirn lag; dennoch lagen Welten zwischen ihrer und der Kleidung der Dorfbewohnerinnen. Die junge Frau blickte sich um und wartete, bis ein Mann das Haus verließ, der wiederum in die Tracht der Bauern gekleidet war und offensichtlich den Dorfältesten vorstellte. Sie trat auf den Mann zu, der neben der Eingangstür stand, nickte ihm zu und schritt dann wortlos zwischen den Zuschauern hindurch, die alte Frau auf den Fersen. Erst jetzt fiel Philipp auf, daß die Alte ein steifes kleines Röckchen trug, die Bekleidung eines Kleinkindes, die hier offenbar nicht mehr nötig war und die den Gefallen der jungen Frau gefunden hatte. Überrascht wurde Philipp klar, daß es sich um Radolf Vacillarius’ Tochter handeln mußte. Die junge Frau sah auf, erblickte ihn auf seinem Pferd sitzend und kam auf ihn zu.
    Sie war von blasser, fast weißer Hautfarbe; ein feines, schmales Gesicht mit gerader Nase und vollen Lippen, in dem zwei dunkle Augen brannten. Unwillkürlich fragte sichPhilipp, ob ihre Mutter so ausgesehen hatte in den Tagen, in denen sein Herr sie verehrt hatte. Dann erwiderte er den Blick aus den dunklen Augen und dachte nichts mehr dergleichen. Er sah, daß die dunkle Augenfarbe ein tiefes Braun war, mit indigoblauen Flecken durchsetzt, Augen wie die farbigen Fenster einer reichen Kathedrale, durch die das Dämmerlicht des vergehenden Abends einen Moment lang scheint. Es war schwer, die Pupillen in diesen Augen auszumachen, und ebenso schwer, ihrem Blick eine Richtung zu geben; unfokussiert, traumverloren, versunken, schien er fern und traurig zugleich. Philipp blieb wie ein Tölpel auf dem Rücken des Pferdes, bis sie fast vor ihm stand und ungeduldig zu ihm emporblickte.
    Sein schlechtes Benehmen durchfuhr ihn wie ein Blitz, und er sprang linkisch herab. Sie war ein gutes Stück kleiner als er, obwohl er selbst nicht zu den Größten zählte, und von zarter Gestalt. Verwirrt bemerkte er, daß sie jünger war, als er gedacht hatte. Sie mochte die Schwelle zur Mannbarkeit erst ein paar Jahre überschritten haben: ein Mädchen von vielleicht siebzehn Jahren.
    »Wer seid Ihr?« fragte sie. »Ihr gehört nicht in das Dorf.« »Nein«, stotterte Philipp. »Euer ... der Herr erwartet mich. Mein Name ist Philipp.«
    Sie machte schmale Augen und musterte ihn mißtrauisch. »Macht ihr Scherze? Mein Vater erwartet niemanden; es geht ihm nicht gut.«
    »Vielleicht hat er es Euch nur nicht weitergesagt, meine Dame?«
    »Mein Vater hat keine Geheimnisse vor mir!« rief sie und stampfte mit dem Fuß auf. »Ihr müßt wieder zurückgehen. Sofort.«
    »Ich bin ja noch gar nicht angekommen«, sagte Philippund machte ein unschuldiges Gesicht. »Euer Haus ist doch dort drüben am Ende des Dorfes.«
    Sie funkelte ihn wütend an. Philipp machte eine beschwichtigende Geste. Er hatte die

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