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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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nackte Haut berührst, solltest du dir am besten noch heute einen Platz in einem Kloster suchen.«
    »Er hat versucht, sie herbeizuholen«, flüsterte der Pferdeknecht.
    Nach seinen Worten entstand eine kleine Pause. Mit den Wolken war Wind gekommen, der Wind, den ein Regenschauer vor sich hertreibt und der eine Ahnung von Feuchtigkeit und Kälte mit sich bringt. Philipp konnte hören, wie er vorsichtig an der Stalltür rüttelte. Noch beschützte die Wärme der Pferdeleiber sie vor der Kühle.
    »Wer ist sie ?« fragte Philipp schließlich.
    »Die Herrin«, flüsterte der Pferdeknecht.
    »Die Herrin ist tot.«
    Der Pferdeknecht erwiderte nichts darauf. Philipp schob sich an ihn heran und sah ihm in die Augen. Der Mann gab den Blick trotzig zurück, aber seine Augenlider flackerten.
    »Knoblauch über den Türen«, sagte Philipp. »Gekreuzigte Vögel an der Scheune. Johanneskraut im Garten.«
    »Sie war eine Hexe«, stieß der Pferdeknecht hervor. »Sie hat sieben Söhne auf die Welt gebracht, aber alle waren tot, noch bevor sie zu atmen angefangen hatten. Als sie starb, lagen sieben tote Vögel auf dem Weg von ihrer Kammer zu ihrem Grab. Ich weiß, was das bedeutet: Sie hat sie allesamt getötet – mit der Nabelschnur erwürgt. Seit man sie in die Erde gesenkt hat, versiegt der Brunnen.«
    Philipp zuckte zurück. Der Pferdeknecht setzte ihm nach. Der Wind warf sich mit der ersten Bö gegen die Tür.
    »Sie will wieder heraus aus der Erde«, sagte der Pferdeknecht. »Sie ruft den Herrn, und er antwortet ihr. An jedem neuen Mond nach ihrem Tod streicht er wie ein heulender Wolf um ihr Grab.«
    »Er betrinkt sich, weil er um sie trauert.«
    »Sie braucht nur noch ein wenig Zeit«, fuhr der Pferdeknecht unbeirrt fort. »Noch ist sie nicht stark genug, um auf die Erde zurückzukehren, aber sie hat ihr Grab bereits verlassen. Ich habe gesehen, wie der Herr in der Nacht den Totenacker nach ihr abgesucht hat. Gestern nacht hat er sie zurückerwartet. Sie wird zu ihm kommen, um sich zu ihm zu legen und ein weiteres Kind zu empfangen, um die seelenlose Kreatur zu gebären, die nur ein toter Leib erzeugen kann und die des Teufels Diener sein wird. Sie hat ihnverhext. Fragt ihn doch, was er in der Kapelle treibt, zu der er die Tür stets abgeriegelt hat. Er gehört ihr, er ist ihr Ankerstein in die Welt der Lebenden, und wer ihn in der Nacht berührt, in der er auf sie wartet, den hat sie erkannt und wird ihn sich holen.«
    Der Pferdeknecht starrte ihn mit weitaufgerissenen Augen an. Der Regen kam über dem Burghof an und senkte sich prasselnd auf das Bretterdach des Stalls. Die Pferde wieherten erschrocken und trampelten vor der Krippe hin und her. Die Tauben flatterten in ihrem Käfig.
    »Warum hast du ihn dann überhaupt angefaßt, wenn du schon an diesen Unsinn glaubst?« schrie Philipp über das Prasseln des Regens. »Warum arbeitest du hier?«
    »Weil ich es gestern noch nicht wußte!« heulte der Pferdeknecht. »Sie haben es mir erst gesagt, als sie mich unter dem Baum hervorzogen.«
    Er warf sich herum und drückte die Tür des Stalles auf. Die Nässe peitschte herein und ließ die Pferde noch weiter zurückscheuen. Im dichten Vorhang des Regens war Radolfs Haus ein grauer Schatten und der Burghof eine zuckende Masse aus gepeitschten Grasbüscheln. Der Pferdeknecht rannte in den Regen hinaus, riß das Tor auf und verschwand ins Freie, ohne das Tor wieder hinter sich zu schließen. Der Torflügel schwang träge hin und her und blieb zuletzt offen stehen. Es war das letzte, was nach dem Regen noch gefehlt hatte, um Radolfs Besitz endgültig wie ein Geisterhaus wirken zu lassen: ein offenstehendes Tor, hinter dem es nichts mehr zu behüten gab.
    Der Regen hielt bis Mittag an, ein steter Guß, der an- und abschwoll, als müßten die schweren Wolken, aus denen erkam, zwischendurch Atem schöpfen. Gegen Mittag verebbte das Rauschen. Radolfs Haus wirkte nach dem Regen noch düsterer als zuvor. Der graue Stein war nicht von der Art, die nach einem Guß sauber und rein erschien: Dunkelgraue, fast schwarze Streifen zogen sich daran herab und ließen die Mauern verschmutzt wirken, wie beschmiert von unsauberen Händen.
    Als das fade Licht des Nachmittags in eine verfrühte Dämmerung überging, schlenderte Philipp zu dem kleinen Friedhof hinüber, der sich zwischen die Kapelle und den düsteren Saum des Waldes duckte. Die vergangenen Stunden hatte er im Pferdestall zugebracht, wo er das Pferd, das sein Herr ihm mitgegeben hatte,

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