Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
zwei Tieren auf dunkelrotem Grund: ein Raubvogel, der auf dem Rücken eines Fuchses saß. Erst nach einem Moment wurde Philipp klar, daß die Malerei etwas wie ein Wappen darstellte. Die Tiere waren fein ausgeführt, mit Spitzlichtern in den Augen und Andeutungen von Schatten dort, wo die Körperrundungen sie gezeichnet hätten. Die Krallen des Raubvogels klammerten sich um den Rücken des Fuchses. Feine Blutspuren zogen sich über das Fell des Tieres, kaum sichtbar im Rot der Behaarung.
»Dies ist das Wappen meines Vaters«, sagte Dionisia, die an seine Seite getreten war.
»Warum hängt es nicht am donjon ?«
Dionisia zuckte mit den Schultern. »Ich kann mich erinnern, daß es früher draußen hing«, sagte sie stirnrunzelnd. »Als ich noch ein sehr kleines Mädchen war. Vielleicht wurde es von der Witterung zerstört, und mein Vater hat es restauriert und will nicht, daß es nochmals beschädigt wird. Ich habe ihn nie gefragt; jedenfalls ist es schon lange nicht mehr draußen aufgehängt worden. Ich verwende es jetzt als Tischplatte.«
»Euer Vater hat das Bild selbst gemalt?« fragte Philipp erstaunt.
»Ihr solltet die Bilder sehen, die er mir gemalt hat«, sagte Dionisia. »Kleine Mönche und Päpste, die auf Eseln reiten und von Affen umtanzt werden, während mächtige Buchstaben wie Portale und Mauern um sie herum aufragen;Schlangen, die sich um Bäume ringeln, die wiederum die Füße von anderen Buchstaben sind; Sänger, die sich aus einem Fenster lehnen und einer Dame in einem anderen Fenster ein Ständchen bringen, und die Fenster sind nur die Öffnungen in wieder neuen Buchstaben.« »Buchillustrationen«, sagte Philipp. »Euer Vater beherrscht die Kunst der Buchillustration. Ist er in einem Kloster aufgewachsen?« Unsinn , dachte er gleich darauf selbst. Niemand, der seine Jugend im Kloster verbracht hat, sitzt als Erwachsener als Burgherr auf einem Gut. Allenfalls als sein Truchseß, und auch das nur mit einer Menge Glück.
»Ich weiß nicht, wo mein Vater aufgewachsen ist.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, daß ich seine Bilder gemocht habe. Meine Mutter hat mir erzählt, daß ich mich vor ihm fürchtete, als er von der Pilgerfahrt zurückkehrte. Ich erkannte ihn wohl nicht mehr wieder. Erst als er mir die kleinen Bilder malte, faßte ich wieder Zutrauen.«
Philipp sah sie an, ohne darauf zu antworten. Ein Vater, der seiner Tochter ein Fremder war, als er nach dem Kriegszug wieder heimkehrte, und der ihr Vertrauen mit seinen wortlosen Bildchen erringen mußte; und ein kleines Mädchen, das sich voller Schrecken an die ständige Gegenwart eines Menschen gewöhnen mußte, dem die Mutter plötzlich all die Aufmerksamkeit schenkte, die bisher ihm zuteil geworden war.
»Wollt Ihr mir helfen, die Bänke in den donjon hinauszutragen?« fragte Dionisia. Sie stellten die Bänke an den Wänden links und rechts neben der Treppe auf, die vom Erdgeschoß in das Obergeschoß des donjon führte; dort waren sie gestanden, als Philipp das Gebäude zum erstenmal betreten hatte, deutliche Anzeichen dafür, daß das Lebenauf dem Gut einst vielschichtiger gewesen sein mußte. Man konnte sich vorstellen, daß die Bewaffneten des Gutes ihre Schwerter und Spieße darauf ablegten, bevor sie vor ihren Herrn traten. In der Decke war eine geöffnete Klappe, eine lange Leiter lag an der Wand, die donjon und Halle miteinander verband. Philipp wies darauf.
»Ist das die Leiter zur Plattform des Turms?« fragte er.
»Ja.«
»Die Klappe ist offen, als hätte jemand Ausschau gehalten.«
Dionisia errötete. »Ich halte oftmals Ausschau«, gestand sie. »Ist das nicht töricht? Wie die edlen Frauen in den Geschichten, die nach einem Ritter ausschauen, der ihnen sein Herz schenkt.« Philipp lauschte mit klopfendem Herzen, als sie mit einem abwesenden Lächeln fortfuhr, ohne ihn anzusehen: »Vielleicht ist der Ritter ja nicht mehr so weit, wie ich dachte.«
Sie drehte sich mit fliegendem Rocksaum herum und sah ihm ins Gesicht. »Habt Ihr eine Möglichkeit gefunden, wie ihr uns helfen könnt?«
»Euer Vater hat mir einen diesbezüglichen Vorschlag gemacht«, stieß Philipp hervor und wagte sich kaum zu fragen, ob die rasche Überleitung von ihrem romantischen Traum zu seiner Aufgabe ein Themenwechsel war oder der Traum mit ihm in Verbindung gebracht werden konnte? »Läßt er sich durchführen?«
»Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Es scheinen keinerlei Unterlagen mehr von Seiten Eurer Mutter zu
Weitere Kostenlose Bücher