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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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neben dem »Palacio Gelmirez«. Der Tag war sonnig gewesen, nun versinkt die Sonne und übergießt den grauen Granit mit goldenem Licht. Tatsächlich, die Kathedrale glüht und flammt in Gelbtönen, wie der Ginster im galicischen Grenzgebirge.
    Nachdenklich meint Tommaso: »Was ist nun dran an der Legende? Könnte es nicht doch das Grab des Sankt Jakob gewesen sein?«
    Atze gibt zu bedenken: »Das Gebiet hier war in vorchristlicher Zeit ein großer Friedhof, ein compostum, darauf soll auch der Name Compostela zurückzuführen sein, also nicht auf campos stellea, Sternenfeld.«
    »Eben weil es ein antiker Friedhof war, könnte doch der Apostel hier begraben worden sein«, erwidert Tommaso.
    »Das wird man nie erfahren können«, sage ich. »Es werden unbeweisbare Vermutungen bleiben. Aber wißt ihr eigentlich, daß die Reliquie ein zweites Mal gefunden wurde?«
    »War sie denn verschwunden?« wundert sich Atze.
    »Ja, man versteckte sie, während eines Krieges mit den Engländern. Nach dem Krieg wurde sie vergessen. Die Zeit verging. Es gab niemanden mehr, der wußte, wohin sie gebracht worden war. Erst im vorigen Jahrhundert, im Jahr 1879, ließ Kardinal Payé y Rico die Reliquie suchen. Zwischen zwei Mauern in der Apsis fand man sie. Natürlich konnte niemand sagen, ob es die richtigen Knochen waren, deshalb erklärte sie Papst Leo XIII. für heilig und echt.«
    »So richtig kann ich mir das nicht vorstellen, weshalb die Menschen eine Reliquie verehren. Warum ist es für sie so wichtig, ein paar Splitter vom Kreuz und Haare, Knochen, Zähne und was nicht noch alles, eines Heiligen zu besitzen?« äußert sich Atze.
    Tommaso hält dagegen: »Doch, das verstehe ich. Die Teile ihres Körpers und Gegenstände, mit denen die Heiligen in Berührung kamen, tragen eben in sich göttliche Kraft. Wenn man das glaubt, dann besitzt man mit einer Reliquie einen Anteil am himmlischen Heil. Deshalb waren Reliquien im Mittelalter so wichtig. Erst durch sie wurde ein Gotteshaus eine geweihte Stätte.«
    Ich füge hinzu: »Die Kirchenfürsten haben sich die Reliquien sogar gegenseitig gestohlen oder stehlen lassen. Ich habe gelesen, daß ein Pilger beim Küssen des Armes einer Heiligenmumie ein Stück abgebissen hat, um es als Geschenk für seine Heimatkirche mitzubringen.«
    »Puh, mir wird schlecht«, ruft Tommaso, und Atze verspottet mich: »Du erzählst wieder Märchen, unglaublich!«
    »Ist aber wahr!« sage ich.
    »Erzähl Tommaso lieber die Legende von dem Sünder«, entgegnet der Holländer.
    »Sie ist ganz kurz«, beschwichtige ich Tommaso, der keine langatmigen Geschichten mag. »Also, es war einmal ein Italiener...«
    »Oh, das ist gemein, das sagt sie nur deshalb, weil ich auch aus Italien stamme«, protestiert er.
    »Hör doch erst mal zu«, ermahne ich ihn. »Es war also ein Italiener. Er hatte eine so große Sünde begangen, daß sein Beichtvater erschrak und nicht wagte, ihm Ablaß zu gewähren. Er befahl ihm, die Sünde auf ein Pergament zu schreiben und mit dem Geschriebenen nach Santiago zu pilgern. Der Sünder tat, wie ihm geheißen. Als er endlich ankam, legte er das Schriftstück auf den Altar und betete um Vergebung. Ein Priester hob das Pergament auf, betrachtete es und fragte den Pilger, welche Sünde er begangen habe. Der Mann begann zu berichten, aber bevor er seine böse Tat nennen konnte, unterbrach ihn der Priester und zeigte ihm das Pergament. Es stand kein Wort darauf. Die Schrift war ausgelöscht, als Zeichen, daß ihm vergeben worden war.«
    »Ganz klar«, meldete sich Tommaso sofort, »der Priester hat das Pergament rasch gegen ein anderes eingetauscht, damit der Mann an ein Wunder glauben sollte. Wunder wurden schnell bekannt und machten Santiago berühmt, dann kamen noch mehr Pilger.« »Ach, Tommaso«, schimpfe ich, »mit deinem Realismus machst du meine schöne Geschichte kaputt.«
    »Aber er hat recht«, sagt Atze. »Darauf bin ich noch gar nicht gekommen. Den Kirchenherren ging es ja stets darum, ihren Einfluß auf die Menschen zu vergrößern. Und da wirkten Wunder eben am besten. Außerdem brauchten sie viel Geld für ihre kostspieligen Bauten. Ein Großteil der Summen erhielten sie aus der Ablaßregelung. Je mehr Menschen nach Santiago pilgerten, um so reicher wurde die Kirche.«
    Tommaso fügte hinzu: »Man muß sich das mal überlegen, wie viele Leute Jahr für Jahr kamen. Und da die Menschen so große Angst um ihr Seelenheil hatten, spendeten sie alles Geld, das sie erübrigen konnten,

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