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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Rohrbach
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übermütig die Flanken.
    Der Bauer, ein kräftiger untersetzter Mann, mit einer wilden schwarzen Haarmähne, muskulösen braungebrannten Armen und kantigem Gesicht, in dem schwarze Augen glühen, ruft mir zu: »A Santiago! Suerte! - nach Santiago! Viel Glück!«
    Nach Linzoain steigt der Pfad zur Erro-Höhe auf. Die Landschaft öffnet sich weit. Wie Meereswellen liegen die Höhenzüge hintereinander, vom dunklen Grün der Wälder bis zum dunstigen Blau der nun schon ferneren Pyrenäen. Ohne scharfe Trennung geht das Gebirge in die welligen Hochflächen der navarresischen Landschaft über. Ein Milan kreist im Himmelsblau. Ich bin überrascht, als er anfängt zu trillern. Die Erro-Höhe scheint mir für mein Nachtlager geeignet zu sein. Heute habe ich nur eine Strecke von etwa 18 Kilometern zurückgelegt, bin aber übervoll vom Erlebten. Kaum zu glauben, daß ich erst seit zwei Tagen wandere.
    Auf einem Trockenhügel finde ich einen sichtgeschützten Platz. Umgeben von Kiefern, Wacholder, Buchsbaum und Ginster breite ich auf einem Grasfleck Matte und Schlafsack aus. Neben mir wachsen rote, weiße und gelbe Knabenkrautorchideen. In einer hat eine Spinne silberne Fäden gesponnen. Der Ginster duftet und mischt sich mit dem würzig harzigen Geruch des Wacholders und der Kiefern. Von Ferne bimmeln Kuhglocken. Es bleibt noch lange hell. Die sinkende Sonne vergoldet das frische Laub der Eichen. Ich liege auf dem Rücken und beobachte, wie der Himmel allmählich dunkler wird. Ganz deutlich spüre ich, daß sich ein geheimnisvoller Vorgang abspielt: Das Licht schwindet, etwas Neues, etwas anderes, bisher nicht Dagewesenes kommt über die Erde. Während sich das Licht entfernt, legt sich ein zwar unsichtbares, dennoch fühlbares Etwas über die Erde. Es ist nicht greifbar, dazu ist es aus zu feinem Stoff, aber doch so fest, daß es dem Wind leichten Widerstand bietet. Auch die Geräusche: Die Kuhglocken, das Kirchturmläuten von Linzoain und vereinzelte letzte Vogelrufe klingen gedämpfter und verhallen mit einem hohlen Ton.
    Der Wechsel von Tag zu Nacht ist mir vertraut. Ich schlafe leidenschaftlich gerne unter freiem Himmel, doch der lange Aufenthalt in der Stadt hatte mich abgestumpft. Meine Sinne waren betäubt und ich hatte vergessen, daß es dieses Wunder gibt. Jeden Tag ereignet es sich zweimal, zur Abend- und Morgendämmerung, und wir merken nichts davon in der Stadt!
    Mitten in der Nacht wache ich auf. Über mir ist es hell. Zwinkernd kneife ich die Augen zusammen, bis ich die Sterne erkenne. Sie funkeln aber keineswegs kalt, sondern leuchten in verschiedenen Farben. In ihr weißes Licht sind zarte Spuren einer bunten Farbpalette gemischt: warmes Rot, feines Grün, glitzerndes Blau und mattes Gelb. Wie ein silbriger Dunst fließt die Milchstraße in breitem Strom von Ost nach West. Still ist es, kein Käuzchen ruft. Nur ein leiser Windhauch zieht über die Lichtung.
     

5 Von Linzoain bis Guendulain
     
    Der Lärm der Straße dringt bis in mein Zimmer. Es ist Freitagabend. Arbeitsschluß. Die Stadt ist voller Menschen. Jungen mit Kofferradios. Die Musik dröhnt. Ich mag nicht noch einmal hinausgehen. Während ich im Hotelzimmer auf dem Bett liege, versuche ich, mir klarzumachen, warum die Stadt Pamplona mir so sehr mißfällt.
    Nach der einseitigen Rucksackverpflegung hatte ich mich auf ein schmackhaftes Essen in einem Restaurant gefreut. In den Gaststätten saßen fröhliche, laute Menschen. Ich hätte schon noch irgendwo einen Platz dazwischen gefunden, aber ich spürte zu deutlich mein Fremdsein. Ich trug in mir noch das Licht, die Farben, den Klang und den Geruch der Wiesen, Wälder und Felder. Ich konnte mich nicht so schnell an die Stadt und die Menschen gewöhnen. Die Stadt selbst schien mir häßlich. Graue Häusermauern sperrten die Sonne aus und stinkende Fahrzeuge verpesteten die Luft. Die Menschen traten in beängstigenden Massen auf. Sie lachten zu laut und zu viel. Die Männer fuchtelten wild mit den Händen in der Luft, grätschten breit die Beine und wiegten sich herausfordernd in den Hüften. Die Frauen trippelten hochhackig in engen Röcken einher und lächelten aufreizend mit ihren knallrot geschminkten Lippen. War es möglich, daß nur drei Tage in der Natur mich einer Welt, an der ich doch sonst teilnahm, so sehr entfremdet hatten?
    Aus der Tür eines Restaurants quoll verführerischer Essensgeruch. Ich versuchte hineinzugehen, um etwas zu bestellen. Doch schnell schloß ich die Tür wieder und

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