Der Janson-Befehl
gekleidet, wie das einfache Leute in ländlichen Gegenden auf der ganzen Welt sind: blaue Latzhosen und ausgefranste Baumwollhemden in einer Farbe, die sich kaum vom schlammigen Boden abhob. Keiner der Männer blickte beim Eintreten der beiden Amerikaner auf. Der Blick des Wirts folgte ihnen wortlos. Er trug eine weiße Schürze und war damit beschäftigt, mit einem grauen Tuch Bierkrüge abzutrocknen. Sein schütteres Haar und die dunklen Tränensäcke unter seinen Augen ließen ihn wahrscheinlich älter erscheinen, als er war.
Janson lächelte. »Sprechen Sie Englisch?«, fragte er den Mann. Der nickte.
»Sehen Sie, meine Frau und ich haben uns hier in der Gegend die Sehenswürdigkeiten angeschaut. Aber zugleich verbinden wir damit ein wenig Ahnenforschung. Verstehen Sie?«
»Ihre Familie ist ungarisch?«
Der Mann sprach Englisch mit ausgeprägtem Akzent.
»Die Familie meiner Frau«, erklärte Janson.
Jessie lächelte und nickte. »So ist es«, fügte sie hinzu.
»Tatsächlich?«
»Ihre Großeltern, so heißt es in der Familie, sollen in einer Ortschaft namens Molnar geboren sein.«
»Molnar existiert nicht mehr«, erwiderte der Mann. Janson sah jetzt, dass er um einiges jünger war, als er das ursprünglich angenommen hatte. »Und wie hieß die Familie?«
»Kis«, antwortete Janson.
»Kis ist in Ungarn so verbreitet wie Jones bei Ihnen. Ich fürchte, das macht Ihre Suche nicht leichter.«
Seine Stimme klang ruhig, förmlich und etwas reserviert. Ganz und gar nicht, wie man es von einem Wirt auf dem Lande erwartet hätte, entschied Janson für sich. Als der Mann jetzt einen Schritt von der Bar zurücktrat, konnte man auf seiner weißen Schürze einen waagerechten dunklen Streifen sehen, wo sein Bauch gewöhnlich am Sims der Bar lehnte.
»Mich würde interessieren, ob es noch jemanden gibt, der sich an jene Zeit erinnert«, sagte Jessie.
»Wen gibt es hier eigentlich noch?«
Die in höflichem Ton gestellte Gegenfrage wirkte dennoch wie eine Herausforderung.
»Vielleicht ... einer dieser Herren?«
Der Wirt deutete mit einer Kopfbewegung auf einen der Männer. »Er ist ja in Wirklichkeit gar kein Ungar, er ist Paloc«, sagte er. »Spricht einen uralten Dialekt. Ich verstehe ihn kaum. Er kennt unser Wort für Geld, und ich seines für Bier. Auf die Weise kommen wir miteinander klar. Mehr brauche ich nicht von ihm.«
Sein Blick wanderte zu dem anderen Mann hinüber. »Und er ist Ruthene.«
Ein Schulterzucken. »Das ist wohl alles. Aber seine Forint sind genauso gut wie die eines jeden anderen.«
Das war eine Bestätigung seiner demokratischen Gefühle, die genau das Gegenteil vermittelte.
»Verstehe«, sagte Janson und fragte sich, ob er, indem man ihn in die lokalen Spannungen einweihte, ins Vertrauen gezogen oder bewusst abgedrängt wurde. »Und sonst gibt es hier in der Gegend niemand, der sich an die Zeit damals erinnert?«
Der Mann hinter der Bar nahm sich den nächsten Bierkrug vor und polierte ihn sorgfältig mit seinem grauen Lappen, von dem ein paar Fasern hängen blieben. »Die alte Zeit? Vor 1988? Vor 1956? Vor 1944? Vor 1920? Das war's dann doch wohl. Die Leute reden immer von einer neuen Ära, aber ich denke, so neu ist die gar nicht.«
»Verstehe schon«, nickte Janson jovial.
»Sie sind zu Besuch hier, aus Amerika? In Budapest gibt es viele schöne Museen. Und weiter im Westen HerzeigDörfer. Sehr malerisch. Bloß für Leute wie Sie gemacht, für amerikanische Touristen. Ich glaube, hier ist nicht der richtige Ort für Sie. Ich habe nicht einmal Postkarten. Ich denke, Amerikaner mögen keine Orte, wo es keine Postkarten gibt.«
»Nicht alle Amerikaner«, wandte Janson ein.
»Alle Amerikaner reden sich ein, dass sie anders sind«, meinte der Mann mit säuerlicher Miene. »Auch darin sind sich alle gleich.«
»Das ist eine sehr ungarische Feststellung«, erwiderte Janson.
Der Mann lächelte verkniffen und nickte dann. »Jetzt haben Sie mich erwischt. Aber die Leute in dieser Gegend haben zu viel mitgemacht, um besonders gesellig zu sein. Ehrlich, das ist die Wahrheit. Wir sind nicht einmal uns selbst gegenüber sonderlich gesellig. Früher haben die Leute den Winter damit verbracht, in ihr Kaminfeuer zu starren. Jetzt haben wir Fernsehgeräte und starren die an.«
»Die elektronische Feuerstelle.«
»Genau. Wir kriegen hier sogar CNN und MTV rein. Ihr Amerikaner beklagt euch immer über Rauschgifthändler in Asien und überschwemmt unterdessen die Welt mit dem elektronischen
Weitere Kostenlose Bücher