Der Janson-Befehl
größtem Widerstreben ließ Gitta Bekesi sich schließlich überreden, sie in das im Zerfall begriffene Haus einzulassen, das sie jetzt mit ihrem bissigen Hund allein bewohnte. Das Widerstreben des Hundes schien noch größer als das ihre: Obwohl er gehorsam den Eingang freigab, ließ seine starre Haltung erkennen, dass er sich auf das geringste Zeichen seiner Herrin hin mit gesträubtem Fell und schnappenden Fängen auf die Besucher werfen würde.
Die alte Frau stand ihrer Behausung an Hinfälligkeit nicht nach. Die Haut hing ihr in losen Lappen um die Wangen; durch ihr dünnes Haar war die trockene Kopfhaut zu sehen; ihre Augen waren eingesunken und funkelten hart aus Falten, die an Schlangenhaut erinnerten. Wenn das Alter alles Harte weich gemacht hatte, dann hatte es im Ausgleich dafür alles Weiche verhärtet, ihre hohen Backenknochen hager und spitz und ihren Mund zu einem grausam wirkenden Schlitz geformt.
Das Gesicht einer Überlebenden.
Aus den vielen Artikeln, die Janson gelesen hatte, wusste er, dass Peter Novak acht Jahre alt gewesen war, als 1945 das Bauerndorf Molnar, sein Geburtsort, von den Streitkräften Hitlers und Stalins praktisch von der Landkarte gelöscht worden war. Die Bevölkerung Molnars war immer recht klein gewesen -Anfang der vierziger Jahre weniger als tausend Seelen. Fast alle waren umgekommen. Selbst wenn man einmal vom Alter der Frau absah -konnte jemand ein so erschütterndes Ereignis erlebt haben, ohne immer noch von dem Trauma geprägt zu sein?
In dem großen Wohnraum flackerte im Kamin ein spärliches Feuer. Auf dem hölzernen Sims darüber zeigte ein sepiafarbenes Foto in einem angelaufenen Silberrahmen eine schöne junge Frau. Gitta Bekesi, wie sie einmal gewesen war: ein robustes, vor Gesundheit strotzendes Bauernmädchen, das eine Art verschlagener Sinnlichkeit ausstrahlte. Das Bild blickte auf sie herab, machte sich auf grausame Weise über die Verwüstungen des Alters lustig.
Jessie trat vor den Kaminsims. »Was für eine Schönheit Sie doch einmal waren«, sagte sie schlicht.
»Schönheit kann ein Fluch sein«, antwortete die alte Frau. »Zum Glück immer nur ein bald vergehender.«
Sie schnalzte mit der Zunge, worauf der Hund zu ihr herübertrottete und sich neben sie setzte. Sie beugte sich zu ihm hinunter und rieb ihm mit ihren klauenähnlichen Händen die Flanken.
»Ich habe gehört, Sie waren einmal bei dem Grafen angestellt«, sagte Janson. »Graf Ferenczi-Novak.«
»Ich spreche nicht über diese Dinge«, antwortete sie knapp. Sie hatte inzwischen auf einem Schaukelstuhl aus Rohrgeflecht Platz genommen, dessen Sitz halb zerfetzt war. Ihre alte Schrotflinte lehnte hinter ihr wie ein Spazierstock an der Wand. »Ich lebe alleine und verlange nicht mehr, als dass man mich in Ruhe lässt. Ich sage Ihnen, Sie verschwenden Ihre Zeit. Also ... Ich habe Sie hereingelassen. Jetzt können Sie sagen, dass Sie der alten Frau Ihre Fragen gestellt haben. Jetzt können Sie allen, die es interessiert, mitteilen, dass Gitta Bekesi nichts sagt. Nein, eines sollten Sie doch wissen: In Molnar hat es keine Familie Kis gegeben.«
»Augenblick - allen, die es interessiert? Wen interessiert es?«
»Mich nicht«, sagte sie und starrte ausdruckslos vor sich hin, verstummte.
»Sind das Kastanien?«, fragte Jessie und sah dabei auf eine Schale, die auf einem kleinen Tischchen neben dem Stuhl der Frau stand.
Bekesi nickte.
»Darf ich eine haben? Ich komme mir unhöflich vor, wenn ich darum bitte, aber ich weiß, dass Sie gerade welche geröstet haben, weil Ihr ganzes Haus danach riecht, und mir läuft von dem Duft das Wasser im Mund zusammen.«
Der Blick der alten Frau wanderte zu der Schale, dann nickte sie. »Sie sind noch heiß«, sagte sie nicht unfreundlich.
»Dabei muss ich irgendwie an meine Oma denken - wir sind in ihr Haus gekommen, und sie hat uns Kastanien geröstet...«
Jessie strahlte bei der Erinnerung daran. »Und uns kam jeder Tag wie Weihnachten vor.«
Sie schälte eine Kastanie und aß sie gierig. »Ganz hervorragend. Einfach wunderbar. Das allein war schon die fünf Stunden Fahrt wert.«
Die alte Frau nickte, wirkte jetzt nicht mehr so abweisend. »Wenn man sie zu lange röstet, werden sie trocken.«
»Und sind zu hart, wenn man sie nicht lang genug röstet«, fügte Jessie hinzu. »Aber Sie können es perfekt.«
Ein kleines, zufriedenes Lächeln legte sich über das Gesicht der alten Frau.
»Betteln alle Ihre Besucher Sie darum an?«, fragte
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