Der Janson-Befehl
dieser Aristokrat, dieser Janos Ferenczi-Novak, massenhaft Feinde und somit gute Gründe hatte, paranoid zu sein. Alles passt, passt wirklich perfekt.«
»Beinahe zu perfekt. Er taucht plötzlich aus dem Nichts als Währungsspekulant der allerersten Kategorie auf.«
»Ein Mann ohne Vergangenheit.«
»Oh, eine Vergangenheit hat er schon. Bloß eine, die keiner kennt.«
Vor Jansons innerem Auge tauchte plötzlich ein Bild der Gulfstream V des Philanthropen auf, die weiße Aufschrift auf dem indigofarbenen Rumpf: Sok kicsi sokra megy. Dasselbe ungarische Sprichwort, das Novak in den Fernsehnachrichten erwähnt hatte. Viele Kleinigkeiten können sich zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Marta Langs Worte in dem Jet hallten plötzlich eisig in ihm wider: Novak hat immer wieder unter Beweis gestellt, wer er wirklich ist. Ein Mann für alle Jahreszeiten und ein Mann für alle Menschen.
Und doch, wer war »Novak« wirklich?
Jessie trat mit einem langen Schritt über einen gewaltigen Ast, der ihnen den Weg versperrte. »Ich komme immer wieder auf die Frage warum zurück. Warum die Tricks? Alle lieben ihn. Er ist doch ein gottverdammter Held unserer Zeit.«
»Selbst Heilige können manchmal etwas zu verbergen haben«, parierte Janson und beobachtete genau, wohin er trat. »Was ist, wenn der Mann aus einer Familie stammt, die mit den Grausamkeiten der Pfeilkreuzler zu tun hatte? Noch einmal, Sie müssen sich ein Land vorstellen, in dem die Leute ein langes Gedächtnis haben, in dem das Wort Vergeltung etwas zu bedeuten hat, wo man ganze Familien, auch Kinder und Enkel, umgebracht oder deportiert hat, bloß weil sie auf der falschen Seite standen. Diese endlosen Rachezyklen waren in der ungarischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts ein entscheidender Faktor. Wenn es in Ihrer Vergangenheit so viel Böses gegeben hätte, könnten Sie durchaus den Wunsch haben, ihm zu entkommen, es hinter sich zu lassen, und dafür alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen. Oma Gitta ist nicht der einzige Mensch in dieser Gegend, der in der Vergangenheit lebt. Denken Sie einmal darüber nach. Überlegen Sie, dass dieser Mann aus einer PfeilkreuzFamilie stammt. Ganz gleich, was er selbst getan hat, das würde immer wieder herauskommen - in jedem Interview, in jedem Gespräch.«
Jessie nickte. »>Die Väter haben saure Trauben gegessen, und die Zähne der Kinder weigern sich<«, sagte sie. »Wie es im Buch Jeremias steht.«
»Ja, das wäre ein durchaus einleuchtendes Motiv«, sagte Janson, hatte aber im Stillen den Verdacht, dass nichts an dieser ganzen Geschichte schlicht und einfach war. Etwas - keine Idee, nur der Hauch einer solchen - schwebte undeutlich in seinem Bewusstsein, außer Reichweite, aber immer wieder präsent, wie ein winziges Insekt. Undeutlich, fast nicht wahrnehmbar und doch existent.
Wenn er es nur schaffen würde, sich darauf zu konzentrieren, alles andere zu verdrängen und sich zu konzentrieren.
Ein paar Augenblicke verstrichen, bis er das Geräusch erkannte, das von unten den Abhang hoch zu ihnen heraufdrang. Es war schwach und kaum wahrnehmbar, und doch erkannte er, als seine Sinne sich darauf einstellten, woher es kam, und sein Herz fing an schneller zu schlagen. Es waren die Schreie einer Frau.
27
Herr im Himmel, nein!
Dorniger Liguster und sonstiges Gestrüpp peitschte auf Janson ein, zerkratzte ihm das Gesicht, als er den gewundenen Weg hügelabwärts rannte. Jedes Mal, wenn er über Felsbrocken hinwegsetzte oder quer durch dichtes Gebüsch hastete, achtete er darauf, wohin er seinen Fuß setzte; ein Fehltritt in dem rauen Terrain konnte leicht eine Verstauchung oder Schlimmeres zur Folge haben. Er hatte Jessie angewiesen, schleunigst zu dem Lancia zurückzukehren: Wenn ihre Feinde den Wagen vorher erreichten, wäre das eine Katastrophe. Sie musste bergauf laufen, aber sie rannte wie eine Gazelle und würde ihr Ziel bald erreichen.
Ein paar Minuten später und kaum außer Atem traf Janson wieder an dem baufälligen Haus der alten Frau ein. Die Schreie waren verstummt, doch die jetzt herrschende Stille war noch viel unheilverheißender.
Die Tür stand offen, und dahinter bot sich ihm ein Bild, das sich für ewig in sein Bewusstsein einprägen würde. Der wackere Kuvasz lag reglos auf dem Boden; man hatte ihm den Bauch aufgeschlitzt, und seine Eingeweide waren auf den abgetretenen Teppich gequollen, ein schimmernder, in der kühlen Luft dampfender formloser roter Haufen. In dem Schaukelstuhl
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