Der Janson-Befehl
anderen.
Ihm war, dass das VC-Lager sich irgendwo in der Tri-Thien-Region von Südvietnam befand. Das Tal im Süden wimmelte von Guerillas. Andererseits war es eine Region, wo das Land besonders schmal war. Die Entfernung zur laotischen Grenze im Westen und zum Meer im Osten betrug jeweils keine fünfundzwanzig Kilometer. Er musste die Küste erreichen. Wenn er das schaffte, sich bis zum Südchinesischen Meer durchschlug, konnte er von dort den Weg zurück in die Heimat finden.
Er konnte nach Hause zurückkehren.
Unwahrscheinlich? Egal. Niemand würde kommen, um ihn zu holen. Das wusste er jetzt. Niemand außer ihm konnte sein Leben retten.
Das Land unter ihm stieg an und senkte sich wieder, bis er sich irgendwann am nächsten Tag am Ufer eines breiten Flusses fand. Ein Fuß vor den anderen. Er fing an, durch das braune Wasser zu waten, das warm wie Badewasser war, und fand, dass seine Füße den Grund des Flusses nie verloren, selbst an der tiefsten Stelle. Als er ihn etwa zur Hälfte durchquert hatte, sah er am anderen Ufer einen vietnamesischen Jungen. Janson schloss müde die Augen, und als er sie wieder aufschlug, war der Junge verschwunden.
Eine Halluzination? Ja, das musste es gewesen sein. Er musste sich den Jungen eingebildet haben. Was bildete er sich sonst noch ein? War er wirklich entkommen oder träumte er, ging sein Verstand in seinem jämmerlichen Bambuskäfig im Gleichschritt mit seinem Körper in Stücke? Und wenn er träumte, wollte er dann wirklich aufwachen? Vielleicht war der Traum die einzige Flucht, die er je genießen würde - warum ihm also ein Ende machen?
Eine Wespe landete auf seiner Schulter und stach ihn. Es schmerzte, schmerzte sogar verblüffend stark, und doch brachte der Schmerz ihm ein seltsames Gefühl der Erleichterung denn wenn er Schmerz empfand, dann träumte er doch ganz sicherlich nicht. Er schloss erneut die Augen, schlug sie wieder auf, blickte auf das Flussufer vor ihm - und sah zwei Männer, nein drei, und einer von ihnen war mit einem AK-47 bewaffnet. Das schlammige Wasser vor ihm spritzte nach einem Warnschuss auf, den einer der Männer abgegeben hatte, und die Erschöpfung schlug wie eine Flutwelle über ihm zusammen. Er hob langsam die Hände. In den Augen des Schützen war kein Mitleid - ja nicht einmal Neugierde. Er sah aus wie ein Bauer, dem eine Wühlmaus in die Falle gegangen war.
*
Als Passagier auf dem Schiff der Museumboot Circle Line sah Jessie Kincaid wie all die anderen Touristen aus, zumindest hoffte sie das. Das Boot mit seiner Glasdecke war mit schnatternden und glotzenden Touristen gefüllt, die ihre kleinen Videokameras summen ließen, während sie durch die schlammigen Kanäle Amsterdams glitten. Sie drückte den grellbunten Prospekt für das Museumsboot an sich - »Bringt Sie zu den wichtigsten Museen, Einkaufsstraßen und Vergnügungszentren in der Innenstadt Amsterdams«, prahlte das Heft. Jessie war natürlich nur wenig an Einkäufen oder Museumsbesuchen interessiert, aber sie hatte gesehen, dass die Route des Bootes sie an der Prinsengracht vorbeiführte. Wie könnte sie besser ihre heimliche Beobachtung verbergen, als sich einer Menschenschar anzuschließen, die alle ganz offen beobachten wollten.
Jetzt umrundete das Boot eine Flussbiegung, und der Stadtpalast wurde sichtbar: der Palast mit den sieben Erkerfenstern - die Zentrale der Liberty Foundation. Sie wirkte so unschuldig. Und doch auch böse, als ob das Gelände irgendwie von toxischen Industrieabwässern verseucht wäre.
Sie führte immer wieder eine 35mm-Kamera mit einem wuchtigen Zoomobjektiv an die Augen. Das war natürlich nur ein erster Ansatz. Sie würde sich noch überlegen müssen, wie sie näher herankam, ohne entdeckt zu werden. Aber für den Augenblick war sie sozusagen damit beschäftigt, ihren Beobachtungsort auszuforschen.
Hinter ihr tobten zwei aufsässige Teenager herum und schubsten sie gelegentlich an. Sie gehörten zu einem erschöpft wirkenden koreanischen Ehepaar. Die Mutter hatte eine mit Sonnenblumen bedruckte Einkaufstüte, die ihre Beute aus dem Souvenirshop des Van-Gogh-Museums enthielt; ihr müde blickender Mann hatte sich Kopfhörer übergestülpt und zweifellos auf den koreanischen Audiokanal geschaltet; er hörte sich die Aufzeichnung ihrer Tourbeschreibung an: Zu Ihrer Linken...zu Ihrer Rechten ... Die Teenager, ein Junge und ein Mädchen, waren mit einer jener Geschwisterrangeleien beschäftigt, die zugleich Sport und Vergnügen sind. Sie
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