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Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Fähigkeiten«, sagte sie.
    Ich musterte sie. »Hatten wir einen Beurteilungstermin angesetzt?«
    »Nein, aber ich finde, wir sollten’s tun.«
    »Weshalb?«
    »Weil ich den miesen Typen aufgespürt habe. Und ich finde, dass Beurteilungen dann stattfinden sollten, wenn man bei Ermittlungen einen großen Schritt vorangekommen ist.«
    »Sie arbeiten weiter mit Frasconi zusammen, oder?«
    »Wir sind Partner«, sagte sie, was keine richtige Antwort auf meine Frage war.
    »Wie ist er?«
    Sie verzog das Gesicht. »Darf ich offen sprechen?«
    Ich nickte.
    »Schade um das gute Essen, das er in sich reinstopft«, sagte sie.
    Ich nickte erneut. Das war auch mein Eindruck. Leutnant Anthony Frasconi war in Ordnung, aber nicht gerade ein Ausbund an Intelligenz.
    »Er ist ein netter Kerl«, erklärte sie. »Ich meine, Sie dürfen mich nicht missverstehen.«
    »Aber Sie machen die ganze Arbeit allein«, sagte ich.
    Diesmal nickte sie. Unter dem linken Arm trug sie die ursprüngliche Akte, die jetzt von Haftnotizen überquoll.
    »Andererseits haben Sie mitgeholfen«, fuhr sie fort. »Sie hatten Recht. Die Unterlagen sind in der Zeitung. Gorowski steckt die ganze Zeitung in einen Abfallkorb an der Parkplatzausfahrt. Jetzt schon an zwei Sonntagen nacheinander.«
    »Und?«
    »Und an zwei Sonntagen nacheinander hat derselbe Kerl sie wieder rausgeholt.«
    Der Plan war clever, aber die Vorstellung, dass jemand in einem Abfallkorb herumwühlen musste, machte ihn irgendwie angreifbar. Die Abfallkorbmasche ist schwer zu realisieren, außer jemand macht sich tatsächlich die Mühe, als Obdachloser verkleidet aufzutreten. So ein Verhalten glaubwürdig zu imitieren, erfordert viel Geduld und Sorgfalt.
    »Was für eine Art Kerl?«, fragte ich.
    »Ich weiß, was Sie denken«, antwortete sie. »Wer außer Stadtstreichern wühlt schon in Abfallkörben, richtig?«
    »Wer also noch?«
    »Stellen Sie sich einen typischen Sonntag vor«, forderte sie mich auf. »Ein fauler Tag, Sie machen einen kleinen Spaziergang. Vielleicht hat sich jemand, mit dem Sie verabredet sind, etwas verspätet. Vielleicht ist Ihr Spaziergang doch langweiliger als erwartet. Aber die Sonne scheint, und es gibt eine Bank, auf die man sich setzen kann. Sie wissen, dass Sonntagszeitungen immer dick und interessant sind. Aber Sie haben gerade keine bei sich.«
    »Okay«, sagte ich. »Ich stell’s mir vor.«
    »Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie eine schon gelesene Zeitung Allgemeingut wird? Haben Sie beispielsweise gesehen, wie das in einem Zug abläuft? In der U-Bahn? Ein Kerl liest seine Zeitung, lässt sie auf seinem Platz liegen, wenn er aussteigt, worauf sofort ein anderer nach ihr greift? Er würde nicht im Traum daran denken, einen halben Schokoriegel aufzuheben, aber eine schon gelesene Zeitung macht ihm keine Probleme?«
    »Okay«, sagte ich.
    »Unser Mann ist ungefähr vierzig«, fuhr sie fort. »Groß, ungefähr eins fünfundachtzig, schlank, etwa achtzig Kilo schwer, grau meliertes schwarzes Haar, ziemlich teures Outfit. Er trägt Freizeitkleidung – Chinos, Golfhemd -, als er über den Parkplatz zu dem Abfallkorb schlendert.«
    »Schlendert?«
    »Ja, schlendert«, entgegnete sie. »Als mache er einen kleinen Spaziergang, sei in Gedanken versunken, habe keinerlei Sorgen. Als komme er gerade von einem Sonntagsbrunch. Dann sieht er die Zeitung im Abfallkorb liegen und zieht sie heraus. Wirft einen Blick auf die Schlagzeilen, legt den Kopf ein bisschen schief und klemmt sich die Zeitung unter den Arm, als wolle er sie später gründlich lesen. Dann spaziert er weiter.«
    »Schlendert weiter«, korrigierte ich sie.
    »Das wirkt unglaublich natürlich«, sagte sie. »Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen und beinahe ignoriert. Es läuft fast unterschwellig ab.«
    Ich dachte darüber nach. Sie hatte Recht. Sie war eine scharfe Beobachterin menschlicher Verhaltensweisen. Was sie zu einem guten Cop machte. Falls wir irgendwann tatsächlich Zeit für eine Beurteilung ihrer Leistungen fanden, würde sie sehr hoch punkten.
    »Noch etwas, worüber Sie spekuliert haben«, sagte sie. »Er schlendert zum Jachthafen hinunter und geht an Bord eines Segelboots.«
    »Auf dem er lebt?«
    »Das glaube ich nicht«, antwortete sie. »Ich meine, es hat Kojen und alles andere, aber ich halte es für ein Freizeitboot.«
    »Woher wissen Sie, dass es Kojen hat?«
    »Ich war an Bord.«
    »Wann?«
    »Am zweiten Sonntag«, erwiderte sie. »Sie dürfen nicht vergessen, dass ich bis dahin nur die

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