Der Janusmann
befanden. An beiden Enden der Hantel waren Scheibengewichte aufgesteckt. Er grunzte halblaut, umklammerte die Stahlstange mit beiden Händen und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, als bereite er sich auf eine größere Anstrengung vor. Dann hob er die Hantel von dem Ständer. Die Stahlstange bog sich schwankend durch. Sie war so schwer belastet, dass ihre Enden wie in einem alten Film über russische Gewichtheber bei Olympischen Spielen weit herabhingen. Paulie grunzte nochmals, dann stemmte er sie hoch, bis seine Arme gestreckt waren. So hielt er die Hantel eine Sekunde lang gedrückt. Dann ließ er sie krachend auf den Ständer zurückfallen. Er drehte den Kopf zur Seite und sah mich an, als erwartete er, dass ich beeindruckt sein würde. Was stimmte – und zugleich wieder nicht. Das war ein riesiges Gewicht, und Paulie hatte gewaltige Muskeln. Aber Steroidmuskeln sind dumme Muskeln. Sie sehen eindrucksvoll aus und funktionieren gut, wenn man sie nur zum Gewichtheben benutzt. Aber sie sind auch langsam und schwer und ermüden allein durch ihr Gewicht, das man ständig mit sich herumschleppen muss.
»Kannst du hundertachtzig Kilo stemmen?«, rief Paulie. Er war leicht außer Atem.
»Hab’s nie versucht«, sagte ich.
»Willst du’s mal versuchen?«
»Nein.«
»Für einen Schwächling wie dich wär’s gutes Aufbautraining.«
»Ich bin Offizier«, entgegnete ich. »Ich brauche kein Aufbautraining. Will ich hundertachtzig Kilo gestemmt haben, suche ich mir einen großen, dämlichen Affen und befehle ihm, das für mich zu tun.«
Er funkelte mich wütend an. Ich ignorierte ihn und begutachtete den schweren Sandsack. Ein Exemplar in Standardausführung. Nicht neu. Ich stieß ihn mit der Handfläche an, sodass er an seiner Kette leicht hin- und herpendelte. Duke beobachtete mich. Dann sah er zu Paulie. Er hatte irgendwelche Schwingungen aufgefangen, die mir entgangen waren. Ich stieß den Sandsack nochmals an. Wir mussten bei der Nahkampfausbildung viel mit schweren Sandsäcken trainieren. Wir hatten Ausgehuniform getragen, die Zivilkleidung darstellen sollte, und die Sandsäcke mit Tritten bearbeitet. Einmal passierte es mir, dass ich einen schweren Sandsack mit dem Schuhabsatz aufschlitzte. Der ganze Sand lief aus. Das hätte Paulie vermutlich beeindruckt. Aber ich hatte nicht vor, es jetzt zu versuchen. Ich wollte nicht riskieren, den ich meinem Absatz versteckten E-Mail-Sender zu beschädigen. Absurderweise nahm ich mir vor, Duffy zu sagen, sie hätte das Gerät im linken Schuh verstecken sollen. Wahrscheinlich hatte sie aus ihrer Sicht genau das Richtige getan, weil sie Linkshänderin war.
»Ich mag dich nicht«, sagte Paulie laut. Da er mich dabei ansah, nahm ich an, dass er mich meinte. Seine Augen waren klein, seine Haut glänzte.
»Wir sollten Armdrücken spielen«, meinte er.
»Was?«
»Wir sollten Armdrücken spielen«, wiederholte Paulie. Er stand auf und kam auf mich zu. Er überragte mich um einiges. Er verdunkelte praktisch das Licht und roch stechend nach Schweiß.
»Ich will nicht Armdrücken spielen«, entgegnete ich. Ich bemerkte, dass Duke mich beobachtete, und begutachtete Paulis Hände. Sie waren zu Fäusten geballt, aber keineswegs riesig. Und Steroide bewirken nichts bei Händen, wenn diese nicht eigens trainiert werden.
»Schlappschwanz«, kommentierte er meine Absage.
Ich schwieg.
»Schlappschwanz«, wiederholte er.
»Was ist für den Sieger drin?«, fragte ich.
»Befriedigung«, sagte er.
»Okay.«
»Okay was?«
»Okay, wir machen’s«, antwortete ich.
Er wirkte überrascht, ging aber sofort wieder an die Hebebank zurück. Ich zog mein Sakko aus und legte es ordentlich über den Hometrainer. Knöpfte den rechten Hemdsärmel auf und krempelte ihn bis über den Ellbogen hoch. Im Vergleich zu Paulies Arm wirkte meiner mager. Doch meine Hand war eine Spur größer, und meine Finger waren länger. Und die wenigen Muskeln, die ich im Vergleich zu ihm besaß, waren nicht mit Pillen angezüchtet, sondern angeboren.
Wir knieten auf beiden Seiten der Bank nieder und stemmten unsere Ellbogen auf das Kunstleder. Sein Unterarm war etwas länger als meiner, sodass er das Handgelenk leicht abwinkeln musste, was mir nützen würde. Wir klatschten die Handflächen aneinander und packten zu. Paulies Hand fühlte sich feuchtkalt an. Duke baute sich wie ein Schiedsrichter am Fußende der Bank auf.
»Los!«, befahl er.
Ich schummelte von Anfang an. Beim Armdrücken geht es
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