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Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Angesicht gegenüberstand. Er lehnte am Ausguss und trank ein Glas Wasser. Wahrscheinlich hatte er gerade seine Steroidpillen eingeworfen. Er war wirklich sehr groß. Ich bin eins fünfundneunzig und muss ziemlich genau zielen, um durch eine dreißig Zoll breite Standardtür zu gelangen. Dieser Kerl war mindestens fünfzehn Zentimeter größer als ich und hatte zwanzig Zentimeter breitere Schultern. Er wog bestimmt achtzig oder neunzig Kilo mehr als ich. Ich spürte den kalten Schauder, der mich immer überkommt, wenn ich einem Kerl begegne, demgegenüber ich mich klein fühle. Dabei scheint die Welt ein wenig zu kippen.
    »Duke ist im Fitnessraum«, informierte mich der Kerl.
    »Hier gibt’s einen Fitnessraum?«, fragte ich.
    »Im Keller«, antwortete er. Seine Stimme klang hell und hoch. Wahrscheinlich schluckte er seit Jahren Steroide wie andere Leute Vitamintabletten. Seine Augen waren trüb, und er hatte eine schlechte Haut. Er war Mitte dreißig, aschblond, und trug ein ärmelloses T-Shirt und eine Trainingshose. Seine Arme mussten dicker sein als meine Beine. Er sah wie eine Witzfigur aus.
    »Wir trainieren immer vor dem Frühstück«, erklärte er.
    »Schön«, sagte ich. »Lass dich nicht aufhalten.«
    »Du auch.«
    »Ich trainiere nie«, sagte ich.
    »Duke erwartet dich. Arbeitest du hier, trainierst du mit.«
    Ich sah auf meine Armbanduhr. 6.25 Uhr. Die Zeit verrann.
    »Wie heißt du?«, fragte ich.
    Er gab keine Antwort. Starrte mich nur misstrauisch an. Das ist ein weiteres Problem bei Steroiden. Schluckt man zu viele, leidet das Gehirn. Und dieser Typ machte den Eindruck, als sei er noch nie einer der Hellsten gewesen. Er sah dumm und bösartig aus. Freundlicher konnte man es nicht ausdrücken. Und das war keine gute Kombination. Schon sein Gesichtsausdruck war mir zuwider. Ich mochte ihn nicht. Somit stand es in Bezug auf die Frage, wie mir meine neuen Kollegen gefielen, null zu zwei.
    »Das ist keine schwierige Frage«, bemerkte ich.
    »Paulie«, sagte er.
    Ich nickte. »Freut mich, dich kennen zu lernen, Paulie. Ich bin Reacher.«
    »Ich weiß«, sagte er. »Du warst bei der Army.«
    »Hast du ein Problem damit?«
    »Ich mag keine Offiziere.«
    Ich nickte. Sie haben deine Angaben überprüft. Sie wussten, welchen Dienstgrad ich gehabt hatte. Sie hatten Zugang zu solchen Dingen.
    »Warum nicht?«, fragte ich. »Bist du als Offiziersanwärter abgelehnt worden?«
    Er schwieg wieder.
    »Komm, wir sehen zu, ob wir Duke finden«, sagte ich.
    Er stellte sein Wasserglas ab und führte mich durch den rückwärtigen Korridor zu einer Tür, hinter der eine hölzerne Kellertreppe lag. Das gesamte Haus war unterkellert. Diese Räume mussten aus dem Fels herausgesprengt worden sein. Ihre naturbelassenen Wände waren an einigen Stellen mit Beton ausgebessert und geglättet. Die Luft hier unten war etwas feucht und abgestanden. In Drahtkäfigen unter der Decke brannten nackte Glühbirnen. Einer der vielen Kellerräume samt Kunststoffboden war ganz in Weiß gehalten. Hier roch es nach altem Schweiß. Zu den Fitnessgeräten gehörten ein Hometrainer, ein Laufband und eine Kraftmaschine. Von einem Deckenträger hing ein schwerer Sandsack herab. Daneben war ein Punchingball angebracht, mit dem Schnelligkeit trainiert wurde. In einem Regal lagen Boxhandschuhe. Hanteln hingen in ihren Wandhalterungen. Auf dem Fußboden neben einer Bank befanden sich aufsteckbare Hantelgewichte. Dort stand Duke in seinem dunklen Anzug. Er sah müde aus, als habe er die ganze Nacht kein Auge zugetan. Er war unrasiert und ungekämmt. Sein Anzug war verknittert, vor allem am hinteren unteren Rand des Jacketts.
    Paulie begann sofort mit irgendwelchen komplizierten Dehnübungen. Er war so mit Muskeln bepackt, dass seine Arme und Beine nur eingeschränkt beweglich waren. So konnte er seine Schultern nicht mit den Fingern erreichen. Seine Bizepse waren zu groß. Ich betrachtete die Kraftmaschine. Sie wies alle möglichen Griffe, Stangen und Hebel auf. Massive schwarze Drahtseile führten über Rollen zu einem hohen Stapel Bleiplatten. Wer sie bewegen wollte, musste imstande sein, über zweihundert Kilo zu stemmen.
    »Trainierst du nicht?«, fragte ich Duke.
    »Geht dich nichts an«, wehrte er ab.
    »Ich auch nicht«, sagte ich.
    Paulie drehte langsam den Kopf auf seinem massiven Hals, um mich anzustarren. Dann streckte er sich auf der Bank aus und rutschte so weit darauf zurück, bis seine Schultern sich unter einer Hantel auf einem Ständer

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