Der Janusmann
Verlagerte mein Gewicht noch weiter nach rechts, ließ das Fensterbrett los und sprang mit den Füßen um, sodass ich das Rohr nun zwischen ihnen hatte. Auch meine Linke umfasste jetzt das Eisen. Mein Griff hielt. Meine Schuhsohlen klebten flach an der Wand. Mein Arsch ragte fünfzehn Meter über den Felsen von der Hauswand weg. Der Wind verfing sich in meinem Haar. Es war kalt.
Ein Boxer, kein Turner. Ich konnte die ganze Nacht hier hängen. Gar kein Problem. Aber ich wusste nicht recht, wie ich an dem Fallrohr hinunterklettern sollte. Ich spannte die Armmuskeln an und zog meinen Oberkörper näher an die Mauer heran. Gleichzeitig schob ich die Hände fünfzehn Zentimeter tiefer und rutschte auch mit den Füßen fünfzehn Zentimeter ab. Das schien zu funktionieren. Ich wiederholte diesen Vorgang und bewegte mich in Etappen von fünfzehn Zentimetern nach unten. Wischte mir abwechselnd die Handflächen trocken, wenn sie vom Tau glitschig waren. Trotz der Kälte schwitzte ich. Meine rechte Hand schmerzte von dem Duell mit Paulie. Ich war noch immer zehn Meter über dem Boden, aber ich arbeitete mich langsam tiefer. Erreichte die Höhe des ersten Stocks. So kam ich langsam, aber sicher voran. Allerdings bedingte meine Fortbewegungsart, dass ich das alte Gussrohr alle paar Sekunden ruckartig mit über hundertzehn Kilogramm Gewicht belastete. Das Rohr war vermutlich hundert Jahre alt. Und selbst Gusseisen rostet einmal.
Ich bewegte mich vorsichtig weiter. Spürte das glitschige Abflussrohr beben. Ich musste die Finger dahinter verschränken, um nicht abzurutschen. Meine Knöchel schürften sich an der Mauer auf. Ich hatte einen bestimmten Rhythmus entwickelt, indem ich den Oberkörper näher heranzog, mich dann zurückfallen ließ und zugleich mit den Händen tiefer ging, während ich den Ruck mit den Schultermuskeln abzufedern versuchte. Danach ließ ich die Füße tiefer gleiten und begann den Zyklus wieder von vorn. Bald war ich auf Höhe der Erdgeschossfenster. Dort fühlte das Rohr sich fester an. Ich rutschte das letzte Stück hinunter und hatte endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Nachdem ich erleichtert tief Luft geholt hatte, trat ich von der Hauswand zurück, wischte mir die Hände an der Hose ab und horchte. Ich hörte nichts. Alle Fenster waren dunkel. Ich sah zum Mond auf, schüttelte mich und ging lautlos davon, um mir die Waffen zu holen.
Die Pistolen lagen noch in dem kleinen Hohlraum am Fuß der Mauer. Ich ließ Dolls PSM zurück. Die Glock war mir lieber. Ich wickelte sie aus und überprüfte sie. Siebzehn Patronen in der Waffe, jeweils siebzehn in den beiden Reservemagazinen. Insgesamt einundfünfzig 9-mm-Geschosse. Musste ich eines abfeuern, würde ich wahrscheinlich alle verschießen müssen. Ich steckte die Magazine ein, schob die Pistole in den Hosenbund und machte mich auf den Weg um den Garagenblock, um aus der Ferne einen Blick auf die Mauer zu werfen. Die grellen Scheinwerfer strahlten bläulich weiß wie in einem Stadion. Das kleine Wachlokal war ausgeleuchtet. Der Bandstacheldraht funkelte. Der taghell beleuchtete Streifen erstreckte sich ungefähr dreißig Meter breit vor einem nachtschwarzen Hintergrund. Das Tor war geschlossen und sicher abgesperrt. Das Ganze sah aus wie die Umfassungsmauer eines Gefängnisses im 19. Jahrhundert. Oder wie die einer Irrenanstalt.
Ich betrachtete sie, bis ich wusste, wie ich sie überwinden konnte. Dann ging ich auf dem gepflasterten Innenhof weiter. In dem Apartment über den Garagen war es dunkel. Alle Garagentore waren geschlossen, aber keines von ihnen besaß ein Schloss. Es waren große altmodische Holztore aus der guten alten Zeit, in der noch niemand daran gedacht hatte, Autos zu klauen. Vier zweiflüglige Tore, vier Garagen. In der Garage links außen stand der Cadillac. Ich hatte ihn selbst hineingefahren. Deshalb kontrollierte ich jetzt lautlos die anderen. In der zweiten Garage fand ich einen weiteren Lincoln Town Car in Schwarz, wie Angel Doll, wie die Leibwächter ihn gefahren hatten. Er war auf Hochglanz poliert und abgeschlossen.
Die dritte Garage war leer und frisch ausgekehrt. In Ölflecken auf dem Boden konnte ich Besenspuren erkennen. Hier und dort waren ein paar Teppichfasern übersehen worden. Ihre Farbe war in der Dunkelheit nicht auszumachen. Ich hielt sie für grau. Sie sahen aus, als stammten sie von der rauen Rückseite eines Teppichs, und sagten mir nichts. Deshalb ging ich weiter.
Was ich suchte, fand ich in der
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