Der Janusmann
Dort war ich vor Sturm und Regen geschützt.
Die erste Garage war leer. Ihre Torflügel standen offen. Der Cadillac war fort. In der dritten Garage war der Hausmeister mit irgendeiner Arbeit beschäftigt. Das Dienstmädchen kam auf den Innenhof gerannt. Ich beobachtete, wie sie das Tor der vierten Garage aufriss. Dann verschwand sie darin, und im nächsten Augenblick stieß der alte Saab rückwärts heraus. Die Irin fuhr davon, um Einkäufe zu machen.
Ich horchte auf das Tosen der Brandung. Begann mir Sorgen zu machen, wie hoch die Flut steigen würde. Deshalb folgte ich der Mauer bis zu ihrer der See zugewandten Seite. Fand meine kleine Aushöhlung zwischen den Steinen. Die Unkrautstängel davor waren nass und schmutzig. Das Loch war voller Wasser – Regenwasser, nicht Seewasser. Mein Versteck lag oberhalb der Flutlinie. Die Wellen konnten es nicht erreichen. Aber außer Regenwasser enthielt es nichts, keinen Lappen, keine Glock. Die Reservemagazine, Dolls Schlüssel, die Ahle und das Stemmeisen – alles war weg.
8
Ich drehte mich zum Haus um, sah nach Westen und starrte die hohe Steinmauer an. In diesem Augenblick war ich kurz davor aufzugeben und auszusteigen. Das wäre einfach gewesen. Das Tor stand weit offen. Vermutlich hatte das Dienstmädchen es nicht geschlossen. Paulie war nicht da, um ihr diese Arbeit abzunehmen. Er war unterwegs, fuhr den Cadillac. Deshalb war das Tor unbewacht. Ich hätte ungehindert hinausschlüpfen können. Aber das tat ich nicht. Ich blieb.
Das hatte auch zeitliche Gründe. Jenseits des Tors lagen mindestens zwölf Meilen einsamer Straße, bevor die erste größere Abzweigung kam. Und hier gab es keinen Wagen mehr, den ich hätte benutzen können. Die Becks waren mit dem Cadillac unterwegs, und das Dienstmädchen hatte den Saab genommen. Der Lincoln stand in Connecticut. Also würde ich zu Fuß gehen müssen. Drei Stunden, wenn ich flott unterwegs war. Aber diese drei Stunden hatte ich nicht. Bestimmt würde der Cadillac in dieser Zeit zurückkommen. Und entlang der Straße konnte man sich nirgends verstecken. Das Gelände auf beiden Seiten war kahl und felsig. Dort wäre ich exponiert gewesen. Beck würde mir in seinem Auto sitzend entgegenkommen. Und er besaß eine Pistole. Und Paulie. Ich hatte nichts.
Deshalb spielte bei meiner Entscheidung auch Strategie eine Rolle. Dabei erwischt zu werden, wie ich davonmarschierte, würde bestätigen, was Beck vermutete – wenn ich voraussetzte, dass er mein Waffenversteck entdeckt hatte. Blieb ich hingegen, hatte ich noch eine gewisse Chance. Mein Bleiben würde den Schluss nahe legen, ich sei unschuldig. Den Verdacht konnte ich auf Duke lenken, indem ich behauptete, die Waffen habe Duke dort versteckt. Das mochte Beck plausibel erscheinen. Möglicherweise. Duke hatte sich in- und außerhalb des Hauses zu jeder Tages- und Nachtzeit frei bewegen dürfen. Ich war dagegen eingesperrt gewesen und ständig überwacht worden. Und Duke war nicht mehr da, konnte nichts abstreiten. Aber ich würde mich vor Beck stellen und überzeugend auf ihn einreden. Vielleicht würde er mir glauben.
Auch Hoffnung gehörte mit zu den Gründen. Vielleicht hatte nicht Beck das Waffenversteck gefunden, sondern Richard auf einem seiner Strandspaziergänge. Seine Reaktion würde unberechenbar sein. Die Chancen standen fifty-fifty, wen er zuerst – mich oder seinen Vater – darauf ansprechen würde. Oder vielleicht hatte Elizabeth es entdeckt. Sie kannte die Felsen dort draußen. Kannte ihre Geheimnisse. Und ihre Reaktion würde zu meinen Gunsten ausfallen. Wahrscheinlich.
Auch der Regen trug zu meinem Entschluss bei, hier zu bleiben. Außerdem war ich zu müde für einen dreistündigen Gewaltmarsch bei diesem Wetter. Ich wollte ins Haus zurück, in die Wärme, und mich ausruhen.
Versagensangst spielte ebenfalls eine Rolle. Wäre ich gegangen, wäre ich nie zurückgekommen. Ich hatte zwei Wochen Zeit investiert und gute Fortschritte gemacht. Menschen verließen sich auf mich. Ich hatte in meinem Leben schon manche Niederlage einstecken müssen, aber ich hatte nie aufgegeben. Kein einziges Mal. Gab ich jetzt auf, würde mich das für den Rest meines Lebens verfolgen. Jack Reacher, Versager. Ist abgehauen, als es schwierig wurde.
Aber ganz oben auf der Liste meiner Gründe zu bleiben, stand eine Frau.
Nicht Susan Duffy, nicht Teresa Daniel. Eine Frau aus der Vergangenheit, aus einem anderen Leben. Sie hieß Dominique Kohl. Ich hatte sie kennen gelernt,
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