Der Janusmann
als ich Hauptmann bei der Militärpolizei und noch ein Jahr von der Beförderung zum Major entfernt war. Eines frühen Morgens kam ich zum Dienst und fand auf meinem Schreibtisch den üblichen Stapel Papierkram vor. Das meiste davon war unwichtig. Aber dazwischen lag ein Versetzungsbefehl, mit dem meiner Einheit ein Sergeant First Class Kohl, D. E., zugewiesen wurde. Damals befanden wir uns in einer Phase, in der alle schriftlichen Hinweise auf Militärangehörige geschlechtsneutral sein mussten. Ich fand, der Name Kohl klinge deutsch, und stellte mir irgendeinen großen, hässlichen Kerl aus Texas oder Minnesota vor. Später am Vormittag meldete mir die Schreibstube über die Gegensprechanlage, Kohl sei zum Dienstantritt da. Ich ließ ihn nur so aus Spaß zehn Minuten warten und rief ihn dann herein.
Aber der Er war eine Sie und trug einen Rock. Sie war Ende zwanzig, nicht klein, sportlich. Und sie war hübsch. Sie hatte etwas Elastisches an sich. Festigkeit und Weichheit zugleich. Sie stand in strammer Haltung vor meinem Schreibtisch und grüßte zackig. Ich erwiderte ihren Gruß nicht, was unhöflich war, starrte sie einfach nur eine Weile an.
»Stehen Sie bequem, Sergeant«, sagte ich.
Sie überreichte mir ihr Exemplar des Versetzungsbefehls und ihre Personalakte. Wir nannten sie Personalumschläge. Sie enthielten alles, was jemand wissen musste. Ich ließ sie weiter vor meinem Schreibtisch stehen, während ich ihre Akte durchblätterte, was wieder unhöflich war – aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich hatte keinen Besucherstuhl. Den stellte einem die Army damals erst vom Oberst aufwärts zur Verfügung. Sie stand mit auf den Rücken gelegten Händen völlig unbeweglich da und fixierte einen Punkt, der genau dreißig Zentimeter über meinem Kopf lag.
Ihre Personalakte war eindrucksvoll. Sie hatte sich auf ungewöhnlich vielen Gebieten versucht und war überall erfolgreich gewesen. Scharfschützin, Nahkampfexpertin, viele Verhaftungen, hervorragende Aufklärungsquote. Als gute Vorgesetzte war sie schnell befördert worden. Sie hatte zwei Menschen getötet, den einen mit einer Schusswaffe, den anderen mit bloßen Händen – beide in berechtigter Notwehr, wie die anschließenden Ermittlungen ergaben. Sie war ein aufsteigender Stern. Und mir war bewusst, dass ihre Versetzung in meine Einheit nach Ansicht irgendeines Vorgesetzten ein großes Kompliment für mich war.
»Freut mich, Sie an Bord zu haben«, sagte ich.
»Sir, vielen Dank, Sir«, antwortete sie, indem sie weiter auf einen Punkt über meinem Kopf starrte.
»Von diesem Scheiß halte ich nicht viel«, sagte ich. »Ich habe keine Angst davor, mich aufzulösen, wenn Sie mich ansehen. Außerdem mag ich kein Sir in jedem Satz – von zweien ganz zu schweigen. Okay?«
»Okay«, antwortete Kohl. Sie begriff schnell. Sie nannte mich nie wieder Sir .
»Wollen Sie gleich ins tiefe Wasser springen?«, fragte ich sie.
Sie nickte. »Klar.«
Ich zog eine Schublade auf, nahm eine dünne Akte heraus und schob sie ihr über den Schreibtisch zu. Sie blätterte sie nicht durch, hielt sie nur in der linken Hand und sah mich an.
»Aberdeen, Maryland«, erklärte ich. »In der Erprobungsstelle. Dort gibt’s einen Waffenkonstrukteur, der sich eigenartig benimmt. Vertraulicher Hinweis eines Kumpels, der sich Sorgen wegen Spionage macht. Aber ich tippe eher auf Erpressung. Könnten lange und heikle Ermittlungen werden.«
»Kein Problem«, sagte sie.
Sie war der Grund, weshalb ich nicht durch das offene und unbewachte Tor davonging.
Also ging ich wieder ins Haus zurück und stellte mich lange unter die heiße Dusche. Dann wickelte ich mich in ein Badetuch, stieg eine Treppe hinunter, suchte Dukes Zimmer und besorgte mir dort einen kompletten Satz Kleidung. Ich zog mich an, behielt aber weiterhin mein eigenes Sakko und die eigenen Schuhe. Nahm meinen Mantel mit, als ich die warme Küche aufsuchte, um dort zu warten. Die Köchin war damit beschäftigt, ein Huhn auszunehmen.
»Haben Sie Kaffee?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
»Koffein«, antwortete sie.
Ich betrachtete ihren Hinterkopf. »Koffein ist der ganze Witz bei Kaffee«, erklärte ich. »Außerdem enthält Tee Tein, das mit Koffein verwandt ist, und ich habe Sie schon Tee aufgießen gesehen.«
»Tee enthält Tannin«, sagte sie.
»Und Tein«, widersprach ich.
»Dann müssen Sie eben Tee trinken«, meinte sie.
Ich sah mich in der Küche um. Auf der Arbeitsfläche
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