Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Träger zu engagieren, und jedesmal lehnte Juan das ab, ich weiß nicht, warum. Die beiden schleppten wirklich elend an unserer Last, und ein dritter Mann hätte nicht mehr gekostet als sie. Zehn Dollar pro Tag. Das war kein Geiz, das war Grausamkeit. Vor dem Wald schätzte ich Juan als einen netten brasilianischen Kollegen aus Rio, der gute Ortskenntnisse in Amazonien besaß, im Wald offenbarte sich der Fotograf als ein Mitglied der intellektuellen brasilianischen Mittelklasse, das seine Träger wie Sklaven behandelte und zu den Goldsuchern nie die Distanz aufgab, die in Brasilien zwischen den gesellschaftlichen Klassen üblich ist. Vor dem Wald mochte ich Juan, im Wald nicht mehr. Deshalb freute ich mich sehr, als Bobo die Schokolade am Abend des sechsten Tages im Gepäck fand, während der Fotograf etwas abseits vom Lager seine Notdurft verrichtete. Bobo verschlang zwei Tafeln auf ex. Das führte dazu, daß wenig später und zurück am Feuer der Fotograf erleichtert wirkte, sein Träger dagegen nicht.
Am Vormittag des siebten Tages erreichten wir einen Fluß, der breiter war als alle, die wir bisher überquert hatten. Ein Seil war über ihn gespannt, und im Schilf lag ein kleines Floß, auf dem jeweils das Gepäck eines Mannes Platz hatte. Ein Goldsucher nach dem anderen sprang ins Wasser und hangelte sich mit der linken Hand an dem Seil entlang, während er mit der rechten das Floß hinter sich herzog. Ich hatte kein Gepäck, also wählte ich die sportliche Variante und kraulte durch den Fluß. So erreichte auch ich das andere Ufer, allerdings nicht an derselben Stelle wie die Goldsucher, sondern gut hundert Meter flußabwärts. Das war kein Problem, nur ein bißchen peinlich. Ich hatte mich vorher darüber lustig gemacht, daß ein paar von ihnen, wie so viele Brasilianer, nicht schwimmen können. Nachdem ich wieder bei der Gruppe war, empfing mich Siete mit einem breiten Lächeln. «Welcome in Venezuela!» sagte er.
Es mag unwahrscheinlich klingen, aber hätte ich diese Geschichte erfunden, würde nicht bereits hier, auf den ersten Metern im Nachbarland, ein Hubschrauber der venezolanischen Armee auftauchen. Das wäre mir ein zu plumper Effekt. Die Wahrheit hat es aber gerne plump. Zunächst erschrak ich, im Verlauf der nächsten Minuten verlor ich jedoch die Angst vor Hubschraubern im Wald komplett. Wir hörten sie, lange bevor wir für ihre Maschinengewehrschützen hätten sichtbar werden können, und wenn sie direkt über uns waren, saßen wir längst regungslos und nicht rauchend unter großen Bäumen oder im dichten Gebüsch. Dann wurde der Klang der Rotoren wieder leiser und leiser. Und weiter ging’s.
Viel problematischer fand ich die venezolanischen Patrouillen, die hier zu Fuß den Wald durchstreiften. Kleine Gruppen, und ausschließlich Mestizen. Rambozona hatte bereits einmal das Vergnügen mit ihnen. Erst haben die Dschungelsoldaten ihn und seine Kumpels verprügelt, danach mußten sie Bäume fällen, um einen Landeplatz für den Hubschrauber zu schaffen, und die nächsten zwei Monate verbrachte Rambozona in einem Militärgefängnis in Venezuela, statt auf dem Pico da Neblina Gold zu suchen. Auch wir begegneten an unserem ersten Tag in Venezuela so einer Mestizen-Patrouille, aber sie war entweder zu klein, um uns Ärger zu machen (fünf Soldaten gegen zehn Goldsucher), oder sie hatte aus was für Gründen auch immer gerade keine Lust auf Streß. Weil die Soldaten wesentlich besser bewaffnet waren als die Goldsucher, denke ich, daß die zweite Annahme stimmt. Sie zogen mit superfinsteren Gesichtern und hohem Tempo auf dem schmalen Pfad an uns vorbei, und weil wir ebenfalls Gas in die entgegengesetzte Richtung gaben, verlor sich auch dieses Problem recht schnell im Gebüsch.
Ansonsten sah Venezuela hier wie Brasilien aus, und als wir dank der Tempovorgabe des Fußballers bereits zwei Tage später wieder in Brasilien waren, sah auch dieser Regenwald nicht anders aus als der von Venezuela. Wir überschritten die grüne Grenze, als es dunkel wurde, und lagerten. Der Aufstieg zum Pico da Neblina lag nur noch einen Tagesmarsch entfernt. Das allein war ein Grund, um fröhlich zu sein, außerdem feierten unsere Seelen das Ende der Furcht vor der venezolanischen Armee, so wurde der Abend ausnehmend schön. Ich hatte an den vergangenen Abenden ein neues Lied geschrieben und sang es den Goldsuchern jetzt vor. Ein Lied über sie. Leider auf englisch, denn auf portugiesisch kriegte ich das nicht hin. Aber
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