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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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wurde nur fristlos entlassen. Am selben Tag. Einige Abteilungsleiter fühlten sich durch mich an ihre Kriegsgefangenschaft erinnert, der Personalchef fühlte sich verarscht, und ich fühlte Freiheit in mir wallen, als ich zum letzten Mal meine Personalkarte in die Steckuhr schob und auf die Straße trat.
    Vater-Sohn-Gespräch im Restaurant der Sparrenburg, mit Blick auf die Dächer der Leineweberstadt. Es verlief recht zivil. Er formulierte die Sorgen meiner Mutter, er formulierte seine Vorwürfe, aber unterm Strich zollte er mir Respekt. «Eine Glatze braucht Eier», sagte mein Vater. «Die Eier fallen nicht weit vom Stamm», sagte ich, und dann folgte ein Brainstorming bezüglich beruflicher Alternativen. Zwei Vorschläge blieben kleben: Wildhüter in Australien oder Sozialarbeiter in Bielefeld. Letzteres wurde favorisiert, denn dafür mußte ich auf eine Fachhochschule gehen. Aber aus Gründen, die mir heute nicht mehr erinnerlich sind, konnte ich das Studium erst in einem Jahr beginnen. Ich sah darin kein Problem. Er auch nicht. «Du hast ein Jahr frei. Das ist etwas sehr Wertvolles. Jeder Mann braucht sein freies Jahr. Du kannst tun und lassen, was du willst. Aber wenn es um ist, das mußt du mir versprechen, gehst du auf diese Schule, und das versprichst du mir jetzt in die Hand.»
    Ich schlug ein. Es war ein guter Plan. Ich nahm in diesem Jahr dann etwa hundertmal LSD, und es ist klar, daß man aus so einem Jahr anders rauskommt, als man reingekommen ist. Rein kam ich stoned. Raus kam ich schizophren. Natürlich ist wahr, daß jedem Anfang ein Zauber innewohnt, aber es stimmt ebenso, daß man im Anfang bereits das Ende sehen kann. Wenn man genau hinschaut.
     
    Der erste Trip schlug bei Karstadt zu. Ich hatte das auf eine Löschblattecke geträufelte LSD irgendwo in der Stadt genommen und mich treiben lassen, weil ich nicht wußte, was ich tat. Warum es mich zu Karstadt trieb, war und ist mir schleierhaft, denn ich mochte Kaufhäuser nicht. Wegen der schlechten Luft und weil man nie was findet und die Verkäufer immer beschäftigt tun, damit sie nicht angesprochen werden. Die Lysergsäure im LSD braucht etwa eine halbe Stunde, bevor sie ihre Wirkung entfaltet, ihr voran geht ein erstes Aufschäumen von Adrenalin. Bewegungszwang. In dieser Phase näherte ich mich der Rolltreppe, und als es zuschlug, stand ich gerade auf der ersten Stufe. Es gibt kein besseres Wort als zuschlagen. LSD wirkt wie ein Hammer. Kosmischer Hammer, denn er zerschlug mein Konzept von Zeit. Es gab sie nicht mehr. Dafür gab es Ewigkeit. Ihre kleinste meßbare Einheit dehnte sich aus und hörte nicht auf damit, sich auszudehnen. Zwanzig Sekunden brauchte die Rolltreppe bis zum ersten Stock des Kaufhauses, zwanzig Ewigkeiten ging es also nach oben. Nur nach oben. Und in dieser Zeit konnte ich beobachten, wie es auf der Rolltreppe daneben zwanzig Ewigkeiten nach unten ging.
    Ich nahm deshalb nie wieder LSD bei Karstadt. Woanders schon. In der ersten Woche nahm ich neun Trips, in der Woche darauf schluckte ich nur noch einmal täglich die härteste aller bewußtseinserweiternden Drogen, später setzte ich auch mal einen Tag pro Woche aus, und noch später drehte sich dieses Verhältnis in sein Gegenteil, und es wurde einmal wöchentlich daraus. Alles in allem hundertmal, und fünfzigmal ging’s nur bergauf. Wie auf der Rolltreppe damals bei Karstadt, aber jetzt war es ein Fahrstuhl im Kaufhaus des Bewußtseins. In jedem Stockwerk stieg ich aus. In jedem eine andere Version vom Paradies. Das Paradies für Philosophen. Das Paradies für Atomphysiker. Das Paradies für Tänzer. Die beiden letztgenannten Paradiese hatten mit Musik zu tun. Musik hatte einen Namen. Steppenwolf? Nee. Santana? Nee. Deep Purple? Nee, nee. Pink Floyd? Ja, Pink Floyd habe ich immer wieder auf LSD gehört, aber es war weniger ein musikalisches als ein religiöses Erlebnis, gregorianische Gesänge über Rock ’n’ Roll gelegt, mit einer Leadgitarre, die nicht spielte, sondern Bilder malte. Sie waren nahe dran, wie alle oben genannten und wie alle nicht genannten, die auch nahe dran waren, in einigen Fällen so nah, daß sie daran verbrannten, aber es gab nur einen mittendrin, nur einen, weil es wohl immer nur einen geben kann, vor dem sich alle verbeugen. Was geschah, als ich zum ersten Mal auf LSD Jimi Hendrix hörte? Folgendes: Der Stuhl, auf dem ich saß, das Bett, auf dem mein Freund lag, der Schrank, der Schreibtisch, das gesamte Mobiliar, die Bilder an den

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