Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Notwendigste abgespeckt, die einzige ernstzunehmende Last für meine Träger war ich. Und die Dealerin? Hielt sie ihr Versprechen? War sie auf dem Rückweg mein Bodyguard? Natürlich nicht. Trotzdem denke ich bis heute gern daran, wie sie sich von mir verabschiedete.
«Hasta la vista, baby», sagte Elisabeth, bevor sie im Busch verschwand.
LSD
(Bielefeld und Amsterdam)
I ch rauchte einen Joint, und das war’s. Für alle Ewigkeit. Ich konnte mich dem nicht entziehen. Mir wurde schlecht, aber ich hörte nicht auf damit. Es war ein Balanceproblem, ähnlich wie bei der Schiffskrankheit, und nach ein paar Tagen war es vorbei. Von nun an ging ich stoned durchs Leben, im Sinne von angestellt, von eingeschaltet. Ideen überfluteten mich. Der Nachteil: Ideen wollen verwirklicht werden. Das ist ihre Natur. Werden sie nicht umgesetzt, verwandeln sie sich in Träume.
Träume vom Glück sind besser als der Textilbetrieb, in dem ich landete, und ich hoffe, der Inhaber oder seine Erben nehmen das nicht persönlich. Ich fand die Firma zum Kotzen. Mein Vater hatte mir die Lehrstelle besorgt, durch die Empfehlung seines Schwagers. Das war die einzige Begründung für diese Berufswahl im Textil-Groß- und -Außenhandel. «Du wirst einmal den Seideneinkauf in China lenken», sagte mein Vater, aber seine Worte waren sinnlos. Es war das falsche Traummaterial. Ich ging durch endlose Lagerräume eines fünfstöckigen Gebäudes, und nichts, was da lagerte, interessierte mich. Weder die Stoffballen noch die Pullover. Die Personalpolitik war strikt faschistisch. Graue Kittel, weiße Kittel. Bleischwere Zeiger zwischen den Minuten.
Ich wurde zum Personalchef gerufen. Da saß ein Anzug, kein Mensch. Er mochte mich nicht. Vielleicht mochte er grundsätzlich keine Untergebenen. Oder grundsätzlich niemanden auf dieser ganzen weiten Welt. Vielleicht war er so einer. Sein Problem war im übrigen nicht mein Desinteresse an Textilien.
«Ich sage es Ihnen jetzt zum letzten Mal, junger Mann. Schneiden Sie sich die Haare!»
Sie waren ihm zu lang. Er wollte die Ohren sehen. Seitenscheitel. Mittelscheitel war für ihn Blasphemie. Ich kannte das. Ich hörte nicht zu. Es interessierte mich nicht im geringsten, ob er mich rausschmiß oder nicht. Das war meine Stärke in dieser Situation. Meine Schwäche war, daß es mir mit meinem Leben genauso ging. Im allgemeinen wurde mir das als Arroganz ausgelegt. Es hatte aber nichts damit zu tun. Oder doch?
«Warum antworten Sie nicht? Ist Ihnen eigentlich klar, daß Sie nur noch wegen Ihres Vaters hier sind?»
«Ja.»
Mein Vater hatte dasselbe Problem mit meiner Frisur. Zu feminin, zu jesushaft, so sahen Zigeuner aus. Ich hätte einbrechen oder Pferde stehlen können. Das wäre nicht so schlimm gewesen. Was hatten mein Vater, der Personalchef und alle, wie sie da waren, gegen lange Haare? Warum haßte Hitler sie? Archaische Angst vor Läusen? Undeutsch? Ich glaube, es lag daran, daß Hitler Österreicher war. Wäre er ein Germane gewesen, hätte er gesagt: Unsere Jungs trugen immer lang. Dann hätten wir SS-Offiziere mit blonden Locken bis zum Arsch gehabt.
Zurück zu den Pullovern. Man nimmt den rechten Ärmel mit der rechten Hand, und mit der linken nimmt man das untere Ende der Textilie und faltet den Pullover zu einem Drittel. Ist mit der anderen Seite dasselbe geschehen, faltet man ihn noch einmal in der Mitte. Das falsche Material. Ich hätte von Baumwollfeldern in Alabama träumen können und von den Schaukelstühlen, in denen sie nach der Arbeit sitzen, um den Blues zu spielen. Alternativ hätte ich auch vom Endverbraucher träumen können, von den Frauen, die später mal in diesen Pullovern stecken würden, heute fiele mir vieles dazu ein, aber damals war ich sechzehn. Und so dumm wie Brot. Dumm ist, ich gebe es zu, das falsche Wort. Ahnungslos ist richtiger, doch es trifft auch nicht ganz. Ich wirkte wie ein brandneuer Roboter, dessen Kernfunktion noch nicht aktiviert worden war. Aktiviert von wem? Vom Zufall? Vom Schicksal? Vom Flügelschlag eines Engels? Ich wußte nichts, suchte nichts und wartete auf nichts, außer auf das Wunder, das den Uhrzeiger bewegt. Feierabend.
Ein Feierabend, mit dem ich nichts anfangen konnte, eine Freundin, die nur Petting wollte und Kleider von Pierre Cardin. Ich las zwar Sartre, Kafka und die Publikationen des Professors Alexander Mitscherlich, aber es half mir nichts, obwohl ich sie verstand. Verstehen und Erleben waren mitnichten gekoppelt, außerdem las ich
Weitere Kostenlose Bücher