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Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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»Er ist keiner davon. Er hat den ganzen Morgen lang geweint. Ich bezweifle, dass er Ihnen etwas antut.«
    »Danke«, erwidere ich. Eine kleine Welle der Erleichterung macht sich in mir breit, aber ich bin sicher, dass sie schon bald wieder versiegen wird.
     
     
    »Du bist ein toter Mann.« Wieder höre ich seine Stimme, und ich sehe die Worte auf mein Gesicht geschrieben, als ich ins Taxi steige und in den Rückspiegel schaue.
    Das bringt mich dazu, über mein Leben nachzudenken,
über meine inexistenten Errungenschaften und mein überwältigendes Geschick in Sachen Inkompetenz.
    Ein toter Mann , denke ich. Das ist nicht weit von der Wahrheit entfernt. Ich lasse den Motor an und fahre weg.

5
    Beobachten, warten, vergewaltigen
    Sechs Monate.
    Er kriegt sechs Monate. Die typische Nachsicht unserer Zeit.
    Ich habe niemandem etwas von der Drohung erzählt, habe den Rat der Polizistin angenommen und versuche, den Typen einfach zu vergessen. Lieber hätte ich gar nichts über das Strafmaß in der Zeitung gelesen. (Die gute Nachricht ist, dass er nicht vorzeitig entlassen wird.)
    Ich sitze wie üblich am Küchentisch, den Türsteher zu meinen Füßen und das Karo-Ass in der Hand. Die Zeitung liegt aufgeschlagen vor mir. Ein süßes Bild des Bankräubers als Kind lacht mich an. Alles, was ich sehe, sind seine Augen.
    Die Tage vergehen und es gelingt mir tatsächlich. Allmählich vergesse ich ihn.
    Mal ehrlich , denke ich mir, was kann mir so ein Kerl schon antun?
    Es ist allemal sinnvoller, nach vorne zu schauen, und langsam mache ich mich mit dem Gedanken vertraut, mir die Adressen auf der Spielkarte vorzunehmen.
    Zuerst kommt die Edgar Street 45 an die Reihe.

    Ich will am Montag gehen, bringe aber nicht den Mut dazu auf.
    Am Dienstag mache ich einen zweiten Versuch, es gelingt mir aber nicht, das Haus zu verlassen, und ich lese stattdessen ein fürchterlich schlechtes Buch.
    Am Mittwoch schaffe ich es tatsächlich hinaus auf die Straße und ich mache mich auf den Weg.
    Es ist fast Mitternacht, als ich in die Edgar Street einbiege. Es ist dunkel, die Straßenlaternen wurden mit Steinen zerschlagen. Nur eine hat überlebt und selbst die flackert. Ihr Licht humpelt von der Glühbirne weg.
    Ich kenne die Gegend ziemlich gut, weil Marv hier früher oft unterwegs war.
    Er hatte eine Freundin in irgendeiner Nebenstraße. Ihr Name war Suzanne Boyd. Marv war während der Schulzeit mit ihr zusammen. Als ihre Familie Hals über Kopf die Sachen packte und wegzog, war er am Boden zerstört. Ursprünglich hat er dieses Scheißteil von einem Auto gekauft, um sie zu suchen, aber er hat es nicht einmal aus der Stadt hinaus geschafft. Die Welt war zu groß, schätze ich, und Marv gab es auf. Zu dieser Zeit wurde er so angespannt und streitsüchtig, wie ich ihn heute kenne. Vielleicht hat er beschlossen, dass er sich von diesem Moment an nur noch um sich selbst kümmern will. Vielleicht. Ich weiß nicht. Ich denke selten über Marv nach. Das ist einer meiner Grundsätze.
    Während ich die Straße entlanggehe, tue ich es dann aber doch eine Zeit lang - über Marv nachdenken, meine ich. Aber die Gedanken lösen sich schon bald in Luft auf.
    Ich erreiche das Ende der Straße mit der Hausnummer 45. Ich gehe auf der anderen Straßenseite daran vorbei
und steuere auf die Bäume zu, die eng gedrängt in den Himmel ragen. Ich drücke mich in ihren Schatten und warte. Im Haus brennt kein Licht und die Straße ist ruhig. Von der Fassade blättert der Putz ab und eine der Regenrinnen rostet vor sich hin. In der Fliegengittertür klaffen Löcher. Mücken veranstalten ein Festmahl mit meinem Blut.
    Hoffentlich dauert es nicht lange , denke ich.
    Eine halbe Stunde vergeht und fast schlafe ich ein, aber als die Zeit gekommen ist, frisst mein Herzschlag den Asphalt auf.
    Ein Mann kommt die Straße entlanggetorkelt.
    Ein großer Mann.
    Betrunken.
    Er sieht mich nicht, als er die Treppe hinaufstolpert, mit dem Schlüssel am Türschloss rumstochert und schließlich hineingeht.
    Eine Explosion aus Licht in der Diele.
    Die Tür schlägt zu.
    »Bist du wach?«, lallt er. »Beweg deinen faulen Arsch hierher!«
    Mein Herz droht, mich zu ersticken. Es steigt immer höher, bis ich es fast schmecken kann. Ich habe das Gefühl, dass mir der Herzschlag auf der Zunge pocht. Ich zittere, reiße mich zusammen und fange gleich wieder an zu zittern.
    Der Mond entkommt den Wolken und plötzlich fühle ich mich nackt. Als könne alle Welt mich sehen. Die Straße ist taub

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