Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
Vom Netzwerk:
hast du eigentlich bei den Adressen auf der ersten Karte angestellt?«
    »Willst du das wirklich wissen?«
    »Oh ja.«
    Ich erzähle es und sehe es vor mir.
    »Also, ich musste einer alten Frau vorlesen, ein hübsches Mädchen barfuß Rennen laufen lassen, bis sie zertreten und blutig und siegesgewiss war, und...« - ruhig spreche ich weiter - »ich musste einen Mann umbringen, der Nacht für Nacht seine Frau vergewaltigt hat.«
    Die Sonne tritt hinter einer kleinen Wolke hervor.
    »Ist das dein Ernst?«
    »Würde ich es dir ansonsten erzählen?« Ich will einen Hauch Feindseligkeit in meine Stimme legen, aber sie kommt nicht an. Ich habe nicht die Kraft dazu.
    Audrey wagt nicht, mich anzuschauen, aus Angst, dass sie die Antwort in meinem Gesicht ablesen kann. »Hast du’s getan?«
    Ich fühle mich jetzt schuldig, weil ich so kurz angebunden war und weil ich ihr alles erzählt habe. Es gibt nichts, was sie tun könnte, um mir zu helfen. Sie kann es ja nicht einmal begreifen. Sie wird es niemals wissen. Audrey wird nie spüren, wie sich die Arme dieses kleinen Mädchens,
Angelina, um ihren Hals schlingen, wird nie die Scherben der Mutter auf dem Boden des Supermarkts sehen. Sie wird nie wissen, wie kalt die Waffe war oder wie verzweifelt Milla sich wünschte zu hören, dass sie Jimmy eine gute Frau war, dass sie ihn niemals im Stich gelassen hat. Sie wird nie die Schüchternheit von Sophies Worten begreifen oder die Stille ihrer Schönheit.
    Ein paar Sekunden lang bin ich verloren.
    Im Innern dieser Gedanken.
    Im Innern dieser Menschen.
    Dann klettere ich wieder heraus, sehe, dass ich immer noch neben Audrey sitze, und beantworte ihre Frage.
    »Nein, Audrey, ich habe ihn nicht getötet, aber...«
    »Aber was?«
    Ich schüttele den Kopf und spüre, wie sich in meinen Augen Tränen bilden. Ich passe auf, dass sie dort bleiben.
    »Was, Ed? Was hast du getan?«
    Langsam. Ich rede. Langsam.
    Langsam …
    »Ich habe den Mann hoch zum Dom gebracht und ihm eine Pistole an den Kopf gehalten. Ich habe abgedrückt, aber ich habe ihn nicht erschossen. Ich habe auf die Sonne gezielt.« Solcherart darüber hinwegzutrampeln, ist nicht leicht. »Er hat die Stadt verlassen und ist bis jetzt nicht zurückgekommen. Ich weiß nicht, ob er jemals zurückkommt.«
    »Hat er es verdient?«
    »Was hat das denn damit zu tun? Wer bin ich denn, das zu entscheiden, Audrey?«
    »Schon gut.« Ihre Hand berührt mich sanft, friedlich. »Beruhige dich.«
    »Mich beruhigen?« Jetzt raste ich aus. »Mich beruhigen?
Während du es mit diesem Typen treibst, während Marv sein bescheuertes Footballspiel plant, während Ritchie tut, was immer er zum Teufel auch tut, wenn er mal nicht Karten spielt, und während der Rest dieser verdammten Stadt schläft - dann wasche ich die schmutzige Wäsche.«
    »Du bist auserwählt.«
    »Toll. Das ist ein echter Trost.«
    »Und was ist dann mit der alten Dame und dem Mädchen? Waren das keine guten Aufgaben?«
    Ich schalte einen Gang zurück. »Ja, sicher, aber...«
    »War die andere Sache es wert, diese beiden erledigen zu dürfen?«
    Verdammt.
    Ich hasse sie.
    Ich muss ihr zustimmen.
    »Es ist nur - ich wünschte, es wäre leichter für mich, verstehst du?« Ich gehe bewusst ihrem Blick aus dem Weg. »Ich wünschte, es wäre jemand anderes auserwählt worden. Jemand, der kompetenter ist. Wenn ich bloß diesen Bankräuber nicht aufgehalten hätte.« Es kommt alles aus mir herausgesprudelt, mit Worten wie verschüttete Milch. »Und ich wünschte, dass ich mit dir zusammen wäre und nicht dieser andere Kerl. Ich wünschte, es wäre meine Haut, die deine berührt...«
    Da haben wir es.
    Dummheit in ihrer reinsten Form.
    »Ach, Ed.« Audrey schaut zur Seite. »Ach, Ed.«
    Unsere Füße baumeln.
    Ich betrachte sie und dann betrachte ich die Jeans auf Audreys Beinen.
    Wir sitzen jetzt einfach nur da.

    Audrey und ich.
    Und das Unbehagen.
    Eingezwängt zwischen uns.
    Dann sagt sie: »Du bist mein bester Freund.«
    »Ich weiß.«
    Mit solchen Worten kann man einen Mann umbringen.
    Ohne Waffe.
    Ohne Kugel.
    Nur fünf Worte und ein Mädchen.
     
     
    Wir sitzen noch eine Weile auf der Veranda und ich schaue hinab auf Audreys Beine und ihren Schoß. Wenn ich mich nur dort zusammenrollen und schlafen dürfte. Die ganze Sache fängt gerade erst an und ich bin jetzt schon erschöpft.
    Die Zeit der Entscheidung ist gekommen.
    Ich muss mich zusammenreißen.

5
    Taxis, die Nutte und Alice
    Es ist Abend geworden und ich fahre in die

Weitere Kostenlose Bücher