Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
Vom Netzwerk:
Stadt. Die Gebäude am Horizont beschatten den Sonnenuntergang.
    Die Nacht ist still, ideal zum Nachdenken.
    Der interessanteste Fahrgast, den ich heute habe, ist eine Frau, die aussieht wie eine Prostituierte und die sich nach vorn auf den Beifahrersitz setzt. Ihr Körper ist fest. Leibhaftig. Ihr Haar winkt mir zu und ihr Mund ist schön, allerdings hat sie schlechte Zähne. Ihre Worte sind blond und süß. All ihren Sätzen fügt sie ein Kosewort an.
    »Was machst du denn für ein langes Gesicht, Liebling?«

    »Hier bin ich noch nie entlanggefahren, Schätzchen.«
    Im Gegensatz zu gängigen Klischees ist ihr Make-up geschmackvoll und dezent. Sie kaut keinen Kaugummi. Sie trägt schwarze, kniehohe Stiefel, einen weißen Minirock, der ihre Kurven betont, und eine dunkle Anzugweste.
    Schau auf die Straße, Ed.
    » Schätzchen?«
    Ich wende mich ihr zu.
    »Du weißt doch noch, wo wir hinfahren, nicht wahr, mein Süßer?«
    Ich räuspere mich. »Zum Quay Grand Hotel.«
    »Richtig - ich muss um zehn da sein, okay, mein Herz?«
    »Klar«, sage ich und schaue sie freundlich an. Ich mag Fahrgäste wie sie.
    Als wir ankommen, steht das Taxameter auf elf Dollar fünfundsechzig, aber sie gibt mir fünfzehn Dollar und sagt, dass ich den Rest behalten kann. Sie beugt sich durchs Fenster in den Wagen. »Du siehst süß aus.«
    Ich lächle. »Danke.«
    »Für das Geld oder für das Kompliment?«
    »Für beides.«
    Jetzt streckt sie ihre Hand hinein und sagt: »Ich heiße Alice.« Ich nehme ihre Hand und halte sie. »Die da drin werden mich Sheela nennen, aber für dich bin ich Alice, einverstanden, Liebling?«
    »Einverstanden.«
    »Und wie heißt du?«
    »Oh.« Zögernd lasse ich ihre Hand los und antworte ihr. Wahrscheinlich hat sie nicht auf den Ausweis am Armaturenbrett geachtet. »Ed. Ed Kennedy.« Sie schenkt mir eine abschließende Zärtlichkeit. »Also dann, danke für’s Mitnehmen,
Ed. Und mach dir nicht so viele Sorgen. Amüsier dich, okay, mein Schatz?«
    »Sicher.«
    Als sie weggeht, stelle ich mir vor, wie sie sich umdreht und sagt: »Kannst du morgen früh kommen und mich wieder abholen, Ed?«
    Aber sie tut’s nicht.
    Sie ist weg.
    Alice lebt hier nicht mehr.
     
     
    Ich sitze allein im Taxi und schaue ihr nach, als sie das Hotel betritt.
    Hinter mir ertönt eine wütende Hupe, und ein Mann brüllt mir durch sein Seitenfenster zu: »Mach, dass du loskommst, Blödmann!«
    Er hat Recht. Blödmann.
     
     
    Während ich durch die Nacht fahre, sehe ich vor meinem geistigen Auge, wie sich Alice in Sheela verwandelt. Ich höre ihre Stimme und rieche sie in dem dämmrig beleuchteten Hotelzimmer, das einen herrlichen Ausblick auf den Hafen der Großstadt bietet.
    »Ist das so gut, Süßer?«
    »Oh, Liebling...«
    »Ja, Liebling, das ist herrlich, genau da, mein Schatz, mach weiter.«
    Ich sehe mich selbst unter ihr.
    Wie sie mich nimmt und Liebe mit mir macht.
    Ich fühle sie.
    Kenne sie.
    Schmecke ihren Champagnermund.

    Ignoriere die schlechten Zähne.
    Schließe meine Augen und sauge sie in mich auf.
    Berühre ihre nackte Haut.
    Der Minirock liegt auf dem Boden.
    Die Weste neben uns.
    Die Stiefel - vergessen - zu einem Dreieck zusammengefallen neben der Tür.
    Spüre mich in ihr.
    »Oh«, sagt sie, atemlos. »Ed, oh, Ed.« Ich verliere mich darin. »Oh, Ed...«
    »Rot!«, brüllt der Mann im Fond zu mir nach vorn.
    Ich trete auf die Bremse.
    »Mensch, passen Sie doch auf!«
    »Tut mir Leid.«
    Tief atme ich durch.
    Es war schön, das Kreuz-Ass und Audrey eine Weile vergessen zu können, aber jetzt bin ich wieder zurück in der Realität. Die Stimme des Mannes hat die Erinnerung an beides mit sich gebracht.
    »Jetzt ist es grün, Kumpel.«
    »Danke.«
    Fahren.

6
    Der Berg
    Zu Hause.
    Ich fahre in unsere Kleinstadt, als gerade die Sonne in den Himmel steigt. Die Straßen sind leer und ich fahre auf den Parkplatz des Taxiunternehmens.
    Wie immer gehe ich zu Fuß zurück zu meiner Hütte.
    Der Türsteher freut sich, mich zu sehen.
    Wir trinken den obligatorischen Kaffee zusammen und dann hole ich die Karte aus der Schublade. Ich sehe sie mir genau an, versuche, einen neuen Blickwinkel darauf zu bekommen - sie zu überrumpeln, damit sie mir ihr Geheimnis preisgibt.
    Die Nachtschicht hätte so oder so laufen können - ich fühle mich jetzt auf jeden Fall bereit. Ich will meinen jämmerlichen, klagenden, Ausreden erfindenden Mund aus meinem Gesicht werfen und anfangen. Ich dränge mich selbst im wachsenden Licht des

Weitere Kostenlose Bücher