Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Joker

Titel: Der Joker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
Vom Netzwerk:
fast so gut wie ich mich selbst.«
    »Ja, aber...«, Audrey zögert. »Wer kennt dich denn wirklich, Ed?«
    Genau das ist es.
    »Niemand«, sage ich.
     
     
    Nicht einmal ich? , fragt der Türsteher und tapst in die Küche.
    Ich schaue ihn an und setze zu meiner Antwort an.
    Hör zu, Kumpel - ein paar Tassen Kaffee bedeuten noch lange nicht, dass du mich kennst.
    Manchmal glaube ich, dass ich mich selbst nicht kenne.
    Wieder sehe ich mein Spiegelbild, diesmal in seinen Augen.

    Aber du weißt, was du tun musst , sagt es mir.
    Das weiß ich.
     
     
    Am nächsten Abend gehe ich nach meiner Schicht in die Henry Street. Ich erreiche tatsächlich die Haustür, und ich muss sagen, dass Vater O’Reillys Behausung dem Wort »grauenhaft« eine ganz neue Bedeutung verleiht.
    Er öffnet auf mein Klopfen, ich stelle mich vor, und ohne Umschweife bittet mich der Priester einzutreten.
    Ohne nachzudenken, platze ich heraus: »Du meine Güte, Ihnen würde echt kein Zacken aus der Krone brechen, wenn Sie hier mal sauber machen.«
    Habe ich das gerade gesagt?
    Aber ich muss keine Angst haben, ihn beleidigt zu haben, denn der Priester erwidert prompt: »Und was ist mit dir? Wann hast du diese Jacke das letzte Mal gewaschen?«
    »Damit sind wir quitt«, sage ich und bin dankbar für seine Schlagfertigkeit.
    Er wird kahl, dieser Priester. Er ist etwa fünfundvierzig Jahre alt. Nicht ganz so groß wie sein Bruder, mit flaschengrünen Augen und ziemlich ausladenden Ohren. Er trägt eine Soutane, und ich frage mich, warum er hier wohnt und nicht im Pfarrhaus neben der Kirche. Ich habe immer gedacht, dass Priester in der Nähe der Kirche leben, damit man sie dort immer finden kann, wenn man ihren Rat oder ihre Hilfe braucht.
    Er führt mich in die Küche und wir setzen uns an den Tisch.
    »Tee oder Kaffee?« Die Art, wie er mich das fragt, sagt mir, dass ich keine Wahl habe, jedenfalls nicht die Wahl abzulehnen. Ich muss etwas trinken, entweder das eine oder das andere.

    »Kaffee«, erwidere ich.
    »Milch und Zucker?«
    »Ja, bitte.«
    »Wie viel Zucker?«
    Das ist mir ein bisschen peinlich. »Vier Löffel.«
    » Vier? Wer bist du - David Helfgott?«
    »Wer zum Teufel ist denn das?«
    »Klaviervirtuose, halb wahnsinnig.« Er ist verblüfft, dass ich den Namen nicht kenne. »Er hat etwa ein Dutzend Tassen Kaffee am Tag getrunken, jedes Mal mit zehn Löffeln Zucker.«
    »War er gut?«
    »Oh ja.« Er setzt den Wasserkessel auf. »Verrückt, aber gut.« Seine glasigen Augen sind jetzt aus Freundlichkeit gemacht. Einer Unmenge an Freundlichkeit. »Bist du auch verrückt, aber gut, Ed Kennedy?«
    »Ich weiß nicht«, sage ich, und der Priester lacht, mehr zu sich selbst als über mich.
    Als der Kaffee fertig ist, stellt Vater O’Reilly ihn auf den Tisch und setzt sich zu mir. Bevor er einen Schluck trinkt, fragt er: »Bist du auf deinem Weg wegen Geld oder Zigaretten belästigt worden?« Er ruckt mit dem Kopf in Richtung der Straße.
    »Ja, und einer von den Typen wollte meine Jacke haben.«
    »Tatsächlich?« Er schüttelt den Kopf. »Miserabler Geschmack, wenn du mich fragst.« Er trinkt.
    Ich schaue auf meine Ärmel. »Sieht sie wirklich so schlimm aus?«
    »Aber nein.« Er wird jetzt ernst. »Ich habe mir nur einen Spaß mit dir erlaubt.«
    Wieder begutachte ich die Ärmel und die Stelle neben
dem Reißverschluss. Das schwarze Wildleder ist fast bis aufs Futter durchgescheuert.
    Eine ungemütliche Stille macht sich breit. Sie drängt mich, zum Punkt zu kommen. Ich vermute, dass auch der Priester es spürt, denn auf seinem Gesicht liegt eine Mischung aus Neugier und Geduld.
    Ich will gerade etwas sagen, als in einem der Nachbarhäuser Streit ausbricht.
    Ein Teller wird zerschlagen.
    Schreie springen über den Zaun.
    Der Krach wird schlimmer. Stimmen peitschen und Türen schlagen.
    Der Priester bemerkt meine Unruhe und sagt: »Einen Moment, Ed.« Er geht zum Fenster und öffnet es noch etwas weiter. Er brüllt: »Könnt ihr beiden mir einen Gefallen tun und Ruhe geben?« Er lässt nicht locker. »He, Clem!«
    Ein Murmeln kriecht jetzt zum Fenster, gefolgt von einer Stimme. »Ja, Vater?«
    »Worum geht’s diesmal?«
    Die Stimme antwortet. »Sie geht mir schon wieder auf die Nerven, Vater!«
    »Tja, das ist nicht zu überhören, aber was...«
    Eine andere Stimme gesellt sich dazu. Die Stimme einer Frau. »Er war schon wieder in der Kneipe, Vater. Hat gesoffen und sein Geld verspielt.«
    Die Stimme des Priesters wird ernst und würdig. Fest

Weitere Kostenlose Bücher