Der Judas-Code: Roman
Wassergraben umgeben, hatte sie die Stadt Hormus und die besten Ankerplätze beherrscht. Für die Geheimnistuer des Vatikans, die einen Schlüssel dauerhaft hatten verstecken wollen, war dies ein idealer Ort gewesen.
Jetzt waren sie zur Burgruine unterwegs.
Vigor nickte. »Ja, die portugiesische Burg. Aber ich will wissen, weshalb wir dort suchen. Wenn wir den eigentlichen Grund kennen würden, kämen wir vielleicht darauf, wonach wir in den Ruinen suchen sollen.«
»Okay, also wo fangen wir an?«
Vigor deutete aus dem Fenster. Die Insel war bereits in Sicht. »Hormus war einst ein bedeutender Handelsplatz für Juwelen, Gewürze und Sklaven. So bedeutend, dass die Portugiesen es im sechzehnten Jahrhundert erobert und die Burg errichtet haben. Zu Marco Polos Zeiten erschien sie Kublai Khan immerhin schon so bedeutend, dass er eine junge Frau von seinem Hofe dorthin schickte, um sie zu vermählen.«
»Kokejin, die Blaue Prinzessin.«
»Das war in erster Linie ein geschäftliches Arrangement. Der persische König, mit dem sie verlobt war, starb, als Marco und Kokejin noch unterwegs waren. Schließlich heiratete sie dessen Sohn. Doch auch das war eine Zweckheirat. Nur drei Jahre später starb auch sie. Einige meinen, sie habe sich das Leben genommen, andere glauben, der Grund sei Liebeskummer gewesen.«
Gray blickte Vigor an. »Wollen Sie damit sagen...«
»Marco hat erst nach Kokejins Tod geheiratet. Und als er starb, bewahrte er in seinem Zimmer zwei wertvolle Dinge auf. Die Goldtafel, die Kublai Khan ihm geschenkt hatte, und ein goldenes Diadem.« Vigor fixierte Gray. »Das Diadem einer Prinzessin.«
Gray straffte sich. Er dachte an Marcos zweijährige Reise, in deren Verlauf er fremde Länder erkundet hatte. Zu Beginn der Reise war Marco noch recht jung gewesen, gerade mal Mitte dreißig. Kokejin war siebzehn gewesen und bei der Ankunft in Persien neunzehn. Es war durchaus denkbar, dass sie sich ineinander verliebt hatten, obwohl ihnen bewusst gewesen sein musste, dass ihre Liebe die Ankunft in Hormus nicht überdauern würde.
Gray massierte sich die schmerzenden Schläfen. Er dachte an die königsblaue Glasur an der Innenseite des Hohlziegels aus der Hagia Sophia, an das im Stein verborgene Geheimnis. Sollte der Ziegel wirklich Marcos Herz darstellen, ein Symbol seiner geheimen Liebe zu Kokejin?
»Übrigens haben wir noch einen Hinweis übersehen«, fuhr Vigor fort. Er nahm die Schriftrolle in die Hand. »Der Text wurde auf Seidenstoff gestickt. Warum gerade Seide?«
Gray zuckte die Schultern. »Die stammt aus dem Fernen Osten, den Marco bereist hat.«
»Ja, aber könnte sie nicht eine spezielle Bedeutung haben?«
Gray erinnerte sich, dass der Monsignore sich über die Schrift gebeugt und sie mit einer Lupe studiert hatte. »Was haben Sie herausgefunden?«, fragte er.
Der Monsignore hob die Schriftrolle hoch. »Die Seide war nicht neu, als sie bestickt wurde. Sie war stellenweise schon fadenscheinig. Ich habe Ölreste und Flecken darauf gefunden.«
»Dann war sie zuvor also schon in Gebrauch gewesen.«
»Aber gebraucht wozu?«, fragte Vigor. »Wegen ihres hohen Preises und der schwierigen Beschaffung wurde Seide damals hauptsächlich als Totenhemd bei der Bestattung fürstlicher Persönlichkeiten verwendet.«
Vigor wartete. Gray, der an den Hohlziegel dachte, dämmerte es allmählich. Verwundert sagte er: »Sie glauben, das könnte ein Stück von Kokejins Totenhemd sein.«
»Das ist durchaus denkbar. Und falls ich recht habe, weiß ich, wonach wir in der alten Burg suchen müssen.«
Gray wusste es ebenfalls.
»Nach Kokejins Grab.«
16:56
Als das Flugzeug eine geschützte Bucht ansteuerte, hatte Seichan, die auf dem Platz des Copiloten saß, freie Sicht auf die Insel. Hormus war nicht groß, ihr Durchmesser betrug gerade mal vier Meilen. In der Mitte war sie felsig und hügelig, mit wenigen grünen Einsprengseln. Den größten Teil der Küste nahmen Steilfelsen und schwer zugängliche Buchten ein, die den zahlreichen Schmugglern Zuflucht boten. Im Norden aber senkten sich die Hänge sanft zum Meer hin ab. Dort gab es Dattelpalmen, bestellte Felder und eine kleine Siedlung mit strohgedeckten Hütten.
Aus der Luft sah man die Überreste einer älteren, größeren Stadt: mächtige Fundamente, errichtet mit Steinen aus den Steinsalzhügeln; ein paar Ruinen, die eher wie Geröllhaufen wirkten; und ein einzelnes hohes Minarett, das den Portugiesen früher als Leuchtturm gedient hatte.
Dorthin aber
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