Der Judas-Code: Roman
auf die Beine. Sie war kräftig. Sie schob Harriet zum Hinterausgang. Ihre Schläger banden Jack los. Zwei Kleiderschränke, Armenier mit buschigen
Augenbrauen, nahmen ihn in die Mitte. Der eine hatte eine Pistole in der Sakkotasche, die er Jack gegen den Rücken drückte.
Annishen packte Harriet beim Ellbogen.
Jack heulte auf, als die Männer ihn mit sich zerrten. »Neiiiin!«
»Vielleicht sollten wir ihm noch eine Stromladung verpassen«, sagte einer der Bewacher mit starkem Akzent.
»Bitte nicht!«, meinte Harriet flehentlich. »Ich werd schon dafür sorgen, dass er keinen Ärger macht.«
Der Mann beachtete sie nicht.
Annishen dachte über den Vorschlag nach.
»Es ist helllichter Tag«, sagte Harriet. »Wenn Sie ihn bewusstlos rausschleppen...«
»In der Straße gibt es ein paar Kneipen«, meinte einer der Männer. »Ich könnte ihm Wodka aufs Hemd kippen. Da würde sich keiner was denken.«
Bei Annishen kam der Vorschlag nicht gut an. Vermutlich vor allem deshalb, weil sie nicht selbst darauf gekommen war. Sie versetzte Harriet einen Stoß.
»Sorgen Sie dafür, dass er keinen Ärger macht, sonst verwandele ich ihn mit dem Taser in einen sabbernden Säugling.«
Harriet eilte zu ihrem Mann. Sie nahm die Stelle eines der Bewacher ein und legte Jack den Arm um die Hüfte. Mit der anderen Hand streichelte sie ihm beruhigend die Brust.
»Alles in Ordnung, Jack. Alles ist gut. Wir müssen los.«
Er beäugte sie misstrauisch, dann entspannten sich seine verkniffenen Lippen, und sein Blick wurde weicher. »Ich will... nach Hause.«
»Wir fahren jetzt heim. Na los, sträub dich nicht.«
Er ließ sich zum Hinterausgang und auf die schmale Gasse führen, die kaum breit genug für den überquellenden Müllcontainer war. Der Sonnenschein blendete Harriet.
Sie waren in einer Metzgerei eingesperrt gewesen, eines von mehreren geschlossenen Geschäften in der Straße. Harriet blickte sich um. Sie befanden sich irgendwo in Arlington. Sie hatte mitbekommen, dass sie nach der Entführung den Potomac überquert hatten.
Aber wo genau waren sie?
Einen halben Block entfernt parkte ein schwarzer Dodge.
Es herrschte bereits Berufsverkehr. Vor dem Waschsalon hatten sich ein paar Obdachlose versammelt. Sie hatten einen mit Plastiktüten gefüllten Einkaufswagen dabei.
Ohne die Obdachlosen zu beachten, ging Annishen auf den Van zu und entriegelte ihn mit der Fernbedienung. Die hintere Seitentür glitt selbsttätig auf.
Jack stapfte benommen weiter, ohne die Umgebung überhaupt wahrzunehmen.
Harriet wartete, bis sie gleichauf mit den um den Einkaufswagen versammelten Männern waren. Ihre Rechte ruhte noch immer auf Jacks Bauch.
Bitte verzeih mir.
Sie kniff ihn in den Bauch.
Jack erwachte jäh aus seiner Benommenheit.
»Neiiiin!«
Er wehrte sich gegen seinen Bewacher.
»Die Leute kenne ich nicht!«, grollte er. »Geht weg!«
Harriet zerrte an ihm. »Jack... Jack... Jack. Beruhig dich.«
Er schlug nach ihr und traf sie an der Schulter.
»He!«, rief einer der Obdachlosen. Er war klapperdünn und hatte einen struppigen Bart. In der Hand hatte er eine braune Papiertüte mit einer Schnapsflasche drin. »Was macht ihr mit dem Burschen?«
Einige Kunden im Waschsalon verdrehten die Köpfe und blickten durch die beschlagene, schmutzige Scheibe nach draußen.
Annishen trat neben Harriet. Sie lächelte angestrengt und blickte Harriet vielsagend an. Eine Hand hatte sie in die Tasche ihres Kapuzensweaters gesteckt.
Harriet streichelte Jack den Bauch und sagte zu dem bärtigen Fremden: »Das ist mein Mann. Er hat Alzheimer. Wir... wir bringen ihn ins Krankenhaus.«
Damit hatte sie die Bedenken des Obdachlosen zerstreut. Er nickte. »Tut mir leid, das zu hören, Ma’am.«
»Danke.«
Harriet geleitete Jack zum Wagen. Bald darauf saßen sie auf ihren Plätzen, und die Türen schlossen sich. Annishen hatte auf dem
Beifahrersitz Platz genommen. Als sie losfuhren, drehte sie sich zu Harriet um.
»Ich hoffe, die Tabletten wirken bald«, sagte sie. »Sonst hängen wir ihn beim nächsten Mal an einem dieser Fleischerhaken auf.«
Harriet nickte.
Annishen blickte wieder nach vorn.
Einer der Männer beugte sich von der hintersten Sitzreihe zu Harriet vor und streifte ihr eine schwarze Kapuze über den Kopf. Jack stöhnte, als auch er eine Kapuze aufgesetzt bekam. Sie tastete nach der Hand ihres Mannes. Er erwiderte ihren Händedruck, und sei es auch nur reflexhaft.
Tut mir leid, Jack...
Ihre andere Hand wanderte in die
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