Der Judas-Code: Roman
soll man anfangen? In welche Richtung soll man lesen?«
Gray schlug die Seite mit den Schriftzeichen auf, die Seichan ihm gegeben hatte. »Wenn die goldenen Zeichen tatsächlich so wichtig sind, müssen sie auch auf dem Obelisken vorkommen.«
Er malte einen Kreis um die Zeichen.
»Diese Zeichenfolge taucht nur ein einziges Mal auf. Das kann man von keiner anderen Zeichenfolge sagen. Beachten Sie, dass die Zeichen auf den verschiedenen Seiten des Obelisken jeweils
eine andere Stelle einnehmen. Das ist ein Hinweis darauf, wo man mit dem Lesen anfangen und in welche Richtung man voranschreiten soll.«
Er fügte einen Pfeil hinzu.
»Deshalb muss man die Zeichen umordnen, damit sie zu den Schlüsseln passen.« Er blätterte in den acht Varianten, die er und Vigor zuvor gezeichnet hatten. Als er die richtige gefunden hatte, malte er einen Kreis um die entscheidenden Zeichen. »So muss die Karte hingelegt werden, damit man sie richtig deuten kann.«
Seichan beugte sich vor. »Von welcher Karte sprechen Sie?«
»Da bin ich in der Kapelle draufgekommen«, erwiderte er. »Sehen Sie.«
Mit einem Bleistift pikste er Löcher in die Seite und markierte das darunter befindliche Blatt.
»Was machen Sie da?«, fragte Vigor.
»Beachten Sie, dass manche der Hinweiszeichen - der eingekreisten Engelszeichen - geschwärzt sind, andere nicht«, sagte Gray. »Vom zweiten Schlüssel her wissen wir, dass die geschwärzten Zeichen auf die Burg der Portugiesen hingewiesen haben. Daher muss es sich bei den geschwärzten Zeichen des Obelisken ebenfalls um Hinweise handeln. Aber worauf verweisen sie? Betrachtet man die Abdrücke auf der leeren Seite, ergibt sich folgendes Bild.«
»Jetzt geht mir ein Licht auf«, meinte Kowalski sarkastisch.
Gray rieb sich den Stoppelbart und konzentrierte sich. »Das hat irgendwas zu bedeuten. Das spüre ich ganz deutlich.«
»Vielleicht soll man die Punkte ja verbinden«, fuhr Kowalski nicht minder sarkastisch fort. »Vielleicht bekommt man dann einen großen blinkenden Pfeil, der so viel bedeutet wie >macht die Fliege<.«
Seichan runzelte die Stirn. »Vielleicht sollten Sie einfach mal den Mund halten.«
Gray wollte kein Gezänk hören. Nicht jetzt. Kowalski war ein
guter Fahrer, ein guter Kämpfer, doch jetzt brauchte er einen guten Einfall und keine Vorschläge, wie sie allenfalls in einer Malgruppe im Kindergarten angebracht gewesen wären.
Auf einmal machte es bei ihm Klick.
»Mein Gott!« Gray setzte sich auf und krampfte die Finger um den Stift. »Kowalski hat recht!«
»Tatsächlich?«
»Ist das Ihr Ernst?«, sagte Seichan.
Gray fasste Vigor beim Arm. »Der erste Hinweis! Im Turm der Winde.«
Vigor musterte ihn skeptisch - dann weiteten sich seine Augen. »In dem Turm war das Observatorium des Vatikans untergebracht... Dort hat Galileo nachgewiesen, dass sich die Erde um die Sonne dreht!« Er tippte auf das Papier. »Das sind Sterne!«
Gray nahm wieder den Bleistift in die Hand. Inzwischen hatte er ein bekanntes Muster ausgemacht. »Das ist ein Sternbild.« Er zeichnete es.
Vigor kannte es ebenfalls. »Das ist das Sternbild Draco, der Drache.«
Seichan legte den Kopf schief. »Wollen Sie damit sagen, das wäre eine Navigationshilfe?«
»Sieht ganz so aus.« Gray kratzte sich mit dem Radiergummi des Bleistifts am Kopf. »Aber wie entnehmen wir der Sternenkarte die Richtung?«
Darauf wusste niemand eine Antwort.
»Also, ich weiß nicht weiter«, gab Gray sich geschlagen.
Das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Die Zeit wurde knapp. Hatte er die anderen etwa auf einen Irrweg geführt?
Vigor lehnte sich zurück. »Moment mal«, sagte er. »Denken wir an Marcos Bericht. An den letzten Abschnitt. Marco hat von einem Stadtplan gesprochen und nicht von einer Landkarte.«
»Und weiter?«, fragte Gray.
Vigor nahm das Blatt Papier und drehte es um. »Die Punkte stellen keine Sterne dar. Das muss der Lageplan der Totenstadt sein. So steht es in Marcos Text. Wahrscheinlich ist der Vatikan dem gleichen Irrtum aufgesessen wie wir. Marcos Karte wurde falsch interpretiert. Man hat geglaubt, es handele sich um eine Sternenkarte.«
Gray schüttelte den Kopf. »Es wäre schon ein merkwürdiger Zufall, wenn die Anlage der Stadt exakt dem Sternbild Draco entsprechen sollte. Wenn ich mich nicht täusche, geben die Punkte außerhalb des Sternbilds ebenfalls die Positionen von Sternen wieder.«
Vigor nickte. »Von meiner Beschäftigung mit alten Kulturen her, angefangen von den Ägyptern bis zu
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