Der Judas-Code: Roman
fünfzig Schritten endete der Gang an einem verrosteten Eisentor. Die Gitterstäbe waren bis auf kurze Stummel abgesägt. Sie kletterten nach draußen und gelangten in den versandeten Burggraben, der von verfallenen Mauern gesäumt war.
Gray blickte sich über die Schulter um. Der Tunnel hatte früher offenbar als Abwasserkanal gedient.
Fee’az bedeutete ihnen, sich zu ducken, und geleitete sie durch den Graben zur Ostseite der Bucht. Aus der Burg drang noch immer Geschrei herüber. Die Schmuggler hatten noch nicht gemerkt, dass die Beute geflohen war.
Als sie den Strand erreichten, sah Gray, dass das Wasserflugzeug noch auf sie wartete.
Fee’az erklärte: »Dreckige Schmuggler. Niemals stehlen Flugzeug. Zwicken nur ein bisschen.« Er zuckte die Achseln und hob die Hand, spreizte die Finger und führte sie wieder zusammen. »Manchmal auch töten. Werfen Leute den Haien vor. Aber keine großen Sachen. Dann schickt Regierung größere Flugzeuge mit dicken Gewehren.«
Das Risiko war ihnen offenbar zu groß.
Um ganz sicherzugehen, verzichteten sie auf den Außenborder und paddelten stattdessen zum Flugzeug. Gestikulierend bedeutete ihnen Fee’az, sie sollten an Bord klettern.
»Kommt wieder! Kommt wieder!«, sagte er und schüttelte jedem Einzelnen förmlich die Hand.
Gray fühlte sich verpflichtet, ihn dafür zu belohnen, dass er sie aus der Bredouille gerettet hatte. Er wühlte im Rucksack und reichte ihm das goldene Diadem der Prinzessin.
Der Junge machte große Augen und hielt den Schatz mit beiden Händen fest - dann wollte er ihn Gray zurückgeben. »Das zu viel.«
Gray drückte seine Finger um das Schmuckstück zusammen. »Du musst mir dafür etwas versprechen.«
Fee’az blickte erwartungsvoll zu ihm auf.
»In der Burg sind zwei Tote, zwei Skelette. Im Raum der Kreuze.« Er zeigte erst zur Burg, dann zu den fernen Hügeln. »Bring sie weg, grab ein tiefes Loch und leg sie hinein. Beide zusammen.«
Der Junge lächelte, denn er war sich nicht sicher, ob Gray vielleicht scherzte.
»Versprichst du mir das?«
Fee’az nickte. »Meine Brüder und mein Onkel mir helfen.«
Gray drückte ihm das Diadem an die Brust. »Das gehört jetzt dir.«
»Danke, Sir.« Der Junge schüttelte Gray die Hand und sagte mit feierlichem Ernst: »Komm wieder.«
Gray kletterte ins Flugzeug.
Kurz darauf hoben sie ab, rasten im Tiefflug über die Bucht hinweg und nahmen Kurs auf den internationalen Flughafen.
Gray setzte sich zu Vigor in die hintere Reihe.
»Sie haben dem Jungen das Diadem der Prinzessin geschenkt?«, sagte der Monsignore, während er auf das zurückweichende Boot des Jungen niederblickte.
»Damit er Marco und Kokejin würdig bestattet.«
Vigor schaute ihn an. »Aber das Diadem ist von unschätzbarem Wert. Die Geschichtsschreibung...«
»Marco hat genug für die Geschichte getan. Es war sein Wunsch, seinen letzten Frieden an der Seite der Frau zu finden, die er geliebt hat. Ich glaube, das sind wir ihm schuldig. Außerdem brauchen wir das Diadem nicht.«
Vigor kniff ein Auge zusammen und musterte Gray, als versuchte er herauszufinden, was es mit dessen Großzügigkeit auf sich hatte. »Aber Sie haben doch gemeint, das Diadem könnte uns vielleicht einen Hinweis liefern. Deshalb haben Sie es doch überhaupt erst mitgenommen.« Auf einmal weiteten sich die Augen des Monsignores, und er hob die Stimme. »Du meine Güte, Gray, Sie haben das Rätsel tatsächlich gelöst.«
Gray holte das Notizbuch hervor. »Nicht ganz. Aber fast.«
»Wie das?«
Seichan hatte die Unterhaltung mitgehört. Sie kam nach hinten und stellte sich zwischen die Sitze. Auch Kowalski wandte interessiert den Kopf.
»Indem ich alle unsere früheren Annahmen über Bord geworfen habe«, sagte Gray zum Monsignore. »Wir haben nach einem Buchstaben-Ersetzungscode gesucht.«
»Wie bei der Schrift im Vatikan, die entschlüsselt HAGIA lautete.«
»Ich glaube, das sollte uns in die Irre führen. Bei dem Rätsel des Obelisken handelt es sich um keinen Buchstaben-Ersetzungscode.«
»Zeigen Sie uns, was Sie meinen«, sagte Seichan.
»Sofort.« Gray sah auf die Uhr. Noch acht Minuten. »Ich muss noch einen kleinen Teil des Rätsels lösen. Die drei Schlüssel ordnen.«
Er klappte das Notizbuch auf und tippte auf die drei Zeichen der Engelschrift.
Gray fuhr fort: »Da der Code des Obelisken für jedermann sichtbar war, dienten die Schlüssel einem einzigen Zweck. Sie sollten auf die richtige Lesart hinweisen. Aber an welcher Seite
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