Der Judas-Code: Roman
Armen und Beinen darauf festgeschnallt.
Devesh schob die Trage ans Fußende des Tischs. »Ich wurde leider aufgehalten, Dr. Cummings. Das Telefonat hat sich unerwartet in die Länge gezogen. Außerdem hat es eine Weile gedauert, bis ich unsere Versuchsperson aufgespürt hatte.«
»Dr. Patanjali«, flehte Lisa. »Bitte nicht...«
Devesh beugte sich über die Instrumente. Er hatte das Sakko abgelegt und sich eine weiße Schürze umgebunden. »Wo waren wir stehen geblieben?«
Surina glitt von der Seite heran, die Hände demütig vor dem Bauch gefaltet. In ihren Augen aber brannte ein bei ihr ganz ungewohntes Feuer. Wut.
Devesh fuhr fort: »Dr. Cummings, Sie hatten eben ganz recht. Ihr Sachverstand könnte sich bei Abschluss unserer Studien als wertvoll erweisen. Gleichwohl bin ich der Ansicht, dass eine Bestrafung durchaus angebracht ist. Jemand muss die Blutschuld einlösen, die ich bei Ihnen nicht einfordern kann.«
Lisa starrte die geknebelte, großäugige Gestalt auf der Trage an.
Es war das Mädchen, das Devesh schon einmal bedroht hatte, bis er stattdessen Dr. Lindholm ermordet hatte.
Diesmal aber würde es keinen Sündenbock geben. Devesh war fest entschlossen, dieses kleine Lamm zu opfern und Lisa dabei zusehen zu lassen.
Devesh streifte Latexhandschuhe über und nahm das Knorpelmesser in die Hand. »Der erste Schnitt ist immer am schlimmsten.«
Als Devesh sich umdrehte, war auf einmal fernes, gleichwohl lautes Gewehrfeuer zu hören.
Er stutzte.
Über ihnen wurde eine weitere Salve abgefeuert. »Nicht schon wieder«, seufzte er gereizt. »Wieso schaffen die es nicht, die Patienten ruhig zu halten?«
Weitere Schüsse.
Devesh warf das Messer auf den Tisch, wo es klirrend zwischen den anderen Instrumenten landete. Er führte einen blutigen Finger an die Lippen, denn er hatte sich geschnitten. Mit finsterer Miene wandte er sich zur Tür.
»Surina, pass auf unsere Gäste auf. Ich bin gleich wieder da.«
Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
Als wäre sie vom Luftzug erfasst worden, schwebte Surina zum Tisch. Sie nahm das Knorpelmesser in die Hand und wandte sich dem gefesselten Kind zu.
»Tun Sie ihr nichts«, sagte Lisa drohend, obwohl ihr die Hände buchstäblich gebunden waren.
Surina warf Lisa einen desinteressierten Blick zu. Dann wandte sie sich wieder dem Mädchen zu, hob das funkelnde Messer und nahm mehrere Schnitte vor - die Fesseln des Kindes fielen ab. Die seltsame Frau nahm das Kind auf den Arm, drückte es an ihre Schulter und wandte sich zur Tür.
Lisa hörte, wie die Tür leise geöffnet und geschlossen wurde. Sie war wieder allein.
Sie runzelte die Stirn. Sie erinnerte sich, dass Surina dem Mädchen ein Bonbon gegeben hatte, ein seltenes Zeichen von Mitgefühl. Bei ihrem Eintreten hatte ein wildes, wütendes Funkeln in ihren Augen gelegen, wie bei einer gereizten Löwin. Offenbar hatte sich die Löwin einen Rest Mitgefühl für die Unschuldigsten unter den Opfern bewahrt. Vielleicht wollte sie damit ihre früheren Schändlichkeiten wiedergutmachen.
Jedenfalls war sie weg.
Lisa stellte sich vor, wie Devesh bei seiner Rückkehr wüten würde, nachdem er sich schon über den neuerlichen Ausbruch geärgert hatte. Dann bliebe nur noch eine Person übrig, an der er seinen Frust würde auslassen können. Lisa zerrte an den Fesseln. Der Eimer schepperte.
Das Gewehrfeuer dauerte an; die Schüsse waren unterschiedlich laut und kamen aus verschiedenen Richtungen. Offenbar wurde an mehreren Stellen gekämpft. Lisa drehte den Kopf. Was ging da vor?
Automatikwaffen knatterten, dann klirrte Glas. Es hörte sich an, als wären die Schüsse ganz in der Nähe abgefeuert worden. Es knallte erneut, dann hörte sie Schreie und ein seltsames trillerndes Kampfgeheul. Obwohl der Lärm nur etwa eine Minute andauerte, kam es ihr vor wie eine Ewigkeit.
Hinter ihr wurde die Tür aufgerissen.
Lisa erstarrte.
Eine halbnackte Gestalt sprang in ihr Gesichtsfeld, die Haut schwarz gestreift, die Nase durchbohrt von einem geschärften Eberzahn, der Kopf geschmückt mit einem smaragdgrünen Federbusch. Der Mann hielt ein blutiges Messer in der Hand, der Arm war bis zum Ellbogen blutig.
Starr vor Angst presste sich Lisa an den OP-Tisch.
»Hier ist sie!«, rief eine wohlbekannte Stimme.
Es war Henri.
Stiefelgepolter war zu hören. Eine kalte Klinge wurde zwischen ihre Handgelenke geschoben. Die Plastikriemen rissen und fielen ab. Lisa rutschte vom OP-Tisch. Jemand fing sie auf.
»Wenn du ohnehin nichts
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