Der Judas-Code: Roman
hinwegrollte, machte er sich ganz flach. Auf dem wie ein Trampolin federnden Netz warf er einen Blick über die Schulter. Das Ende der Laufplanke wurde von der Wucht des Blitzeinschlags hochgeschleudert, die Holzbretter fingen Feuer. Einer der Eingeborenen flog mit rudernden Armen hoch in die Luft, während beiderseits von ihm elektrische Entladungen knisterten - dann landete der Akrobat wieder wohlbehalten zwischen seinen Stammeskollegen.
Glück gehabt, doch jetzt war ihnen der Rückweg versperrt.
Monk packte das erstbeste Seil und ließ sich durchs Netz fallen.
Langsam rutschte er zur regengepeitschten Landeplattform hinunter und landete wohlbehalten.
Dann folgte der Rest der kleinen Streitmacht.
Geduckt rannte Monk zu seinen Mitstreitern, die sich in der Nähe der Treppe gesammelt hatten. Jessie wies die Eingeborenen bereits ein und zeigte erst auf Monk und dann auf Ryder. Sie mussten sich aufteilen. Monk würde Lisa suchen. Ryder und Jessie würden nach unten gehen, sich einen Weg freikämpfen und das Boot startklar machen.
Hinter Monk ließen sich die letzten Kannibalen durchs Netz aufs Schiff herab und tappten mit bloßen Füßen übers nasse Deck.
Monk wandte sich an Ryder und Jessie. »Fertig?«, fragte er.
»Meinetwegen kann’s losgehen«, antwortete Ryder.
Monk musterte die mit Steinäxten und Sturmgewehren vom Typ AK-47 bewaffnete Streitmacht. Die Blitze umrahmten sie wie Feuer. Die Augen funkelten aus den mit Asche beschmierten Gesichtern hervor.
»Jetzt wollen wir mal meine Kollegin suchen, und dann machen wir, dass wir von hier verschwinden.«
05:02
Lisa war auf einem im Fünfundvierzig-Grad-Winkel geneigten OP-Tisch festgeschnallt. Ihre Handgelenke waren mit Plastikriemen gefesselt, die Arme nach oben weggestreckt. Ihre Beine baumelten herab, jedoch ohne den Boden zu berühren. Sie war nur mit einem Nachthemd bekleidet. Der dünne Baumwollstoff war mit kaltem Schweiß durchtränkt und klebte an der Haut. Den Stahl der Tischoberfläche spürte sie kalt im Rücken.
Sie war seit über einer Stunde gefesselt.
Und sie war allein.
Sie konnte nur hoffen, dass man sie vergessen hatte.
Neben dem OP-Tisch stand ein Tablett aus rostfreiem Stahl mit allen Instrumenten, die für eine Autopsie benötigt wurden: Knorpelmesser, Sezierhaken, Scheren, Postmortem-Nadeln, Meißel.
Dr. Devesh Patanjali hatte die Instrumente einer schwarzen Ledertasche entnommen, die Surina ihm aufgehalten hatte. Die Gerätschaften hatte er auf einem grünen OP-Abdecktuch akkurat ausgerichtet. Am Fußende des geneigten Tischs hing ein Stahlbehälter, der das Blut auffangen sollte.
Während er die Instrumente ordnete, hatte Lisa versucht, die drohende Folter abzuwenden. Sie hatte an seine Vernunft appelliert, hatte ihm erklärt, dass sie ihm auch weiterhin nützlich sein könnte. Wenn Susan wieder eingefangen sei, werde sie ihre ganze Kraft darauf verwenden, aus dem Blut und der Gewebsflüssigkeit der Frau ein Heilmittel zu entwickeln. Habe sie ihren Einfallsreichtum nicht schon unter Beweis gestellt?
Devesh ließ sich von ihren Argumenten nicht beeindrucken, sondern legte wortlos ein Instrument nach dem anderen aufs Tablett.
Schließlich brach Lisa in Tränen aus. »Bitte...«, flehte sie.
Da Devesh sie zu ignorieren schien, wandte Lisa sich an Surina. Hilfe fand sie aber auch bei ihr nicht. Surinas Gesicht war wie aus kaltem Marmor gemeißelt. Der einzige Farbfleck darin war der rote Bindi auf ihrer Stirn, der Lisa an einen Blutstropfen erinnerte.
Dann klingelte Deveshs Handy. Er nahm den Anruf entgegen und zeigte sich sichtlich erfreut. Er antwortete auf Arabisch. Lisa verstand nur das Wort »Angkor«. Dann ging Devesh hinaus, und Surina folgte ihm wie ein Schatten. Devesh sah sich nicht einmal um.
Lisa, die keine Ahnung hatte, was da vor sich ging, blieb allein zurück.
Allerdings konnte sie sich denken, was man mit ihr vorhatte.
Die chirurgischen Instrumente funkelten kalt. Wenn sie die Haltung veränderte, klapperte der Auffangeimer am Fußende des Tischs. Sie schwankte zwischen Erschöpfung und bodenloser Angst. Beinahe wünschte sie, Devesh wäre zurückgekehrt. Das quälende Warten brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht.
Als die Tür schließlich geöffnet wurde, schreckte sie zusammen und stöhnte leise auf. Sie konnte nicht sehen, wer eingetreten war, hörte aber das Klacken von Rädern.
Von hinten tauchte eine fahrbare Krankentrage in ihrem Gesichtsfeld auf.
Eine kleine Gestalt war mit gestreckten
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