Der Judas-Code: Roman
zogen.
Jetzt war klar, wo die anderen geflohenen Gefangenen abgeblieben waren. Vor ein paar Minuten hatte einer seiner Leute auf dem Kreuzfahrtschiff eine verdächtige Bewegung ausgemacht. Rakao hatte sich daraufhin auf die Seite gewälzt und statt der Frau das Schiff ins Visier genommen. Auf dem Schiff bemerkte er nichts Ungewöhnliches, stattdessen aber mehrere lose Taue, die vom Tarnnetz auf die Landeplattform herabhingen.
Kletterseile.
Rakao fluchte lautlos, als ihm klar wurde, was da vor sich ging.
Die Angreifer waren vom Tarnnetz aus aufs Schiff gelangt...
Rakao lebte schon seit zehn Jahren auf der Insel und hatte mittels mehrerer blutiger Aufstände die Führung des Piratenclans erobert, dessen Geschichte ein Jahrhundert weit zurückreichte. Doch er hatte größere Ziele, die über die Plünderung eines Kreuzfahrtschiffs und Schwarzmarktsklaven weit hinausgingen. Die ganze Welt wartete darauf, geplündert zu werden, und der Doktor machte sie ihm zugänglich mithilfe einer Organisation, die viel älter war als hundert Jahre und bei der Ehrgeiz und Skrupellosigkeit hohe Wertschätzung genossen.
Seit ihm klar geworden war, dass man ihn ausmanövriert hatte, schäumte Rakao zwar, hütete sich aber davor, sich zu einer Unbedachtheit hinreißen zu lassen. Er hatte die Zungen seiner Vorgänger an den Türsturz des Versammlungshauses genagelt und in der Sonne trocknen lassen. Er war nicht durch Leichtsinn so hoch gestiegen.
Rakao behielt das Schiff im Auge und befahl seinem Funker, sich außer Hörweite zu begeben und die Besatzung vor dem drohenden Angriff zu warnen. Während Rakao wartete, ertönten die ersten Schüsse - dann gellten die Alarmsirenen. Seine Warnung kam zu spät.
Und wenn schon...
Rakao rührte sich nicht vom Fleck.
Sollte der Angriff auf das Schiff niedergeschlagen werden, würde der Funker ihm Bescheid geben. Andernfalls brauchte er nur abzuwarten.
Die wertvollste Beute befand sich hier an Land.
Rakao beobachtete die Frau, die am Rand des Dschungels stand.
Es würde nicht mehr lange dauern.
05:33
Monk stürmte den letzten Treppenabsatz hinunter. Lisa folgte ihm mit zwei WHO-Wissenschaftlern, einem niederländischen Toxikologen und einem amerikanischen Bakteriologen.
Am Fuß der Treppe lagen in einer Blutlache zwei ineinander verknäulte
Piraten. Dicht bei ihnen stand ein Kannibale, der ihnen Zeichen gab, sie sollten die Treppe frei machen.
Der verschlungene Weg führte weiter über mehrere Treppen, durch einen Passagiergang, übers Außendeck und sogar durch eine Küche. Hin und wieder hörten sie Schüsse, denn der Guerillakampf war noch nicht zu Ende.
Immerhin waren die Alarmsirenen verstummt.
War das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Monk führte ihr kleines Häuflein über den blutverschmierten Treppenabsatz zum Steuerbordkorridor. Sie befanden sich auf dem Unterdeck, das auf Wasserhöhe lag. Ryders Privatboot befand sich ebenfalls auf dieser Ebene. Monk schaute sich um und orientierte sich. Außerdem lagen auf diesem Deck das Tenderdock, ein Theater, der Kinderhort, eine Spielhalle und die Midnight Blue Disco. Die Startrampe von Ryders Boot lag in der Nähe des Bugs.
»Hier entlang!« Er wandte sich nach rechts, hielt inne und drehte sich wieder um. »Nein, hier entlang!«
Sie setzten sich in Bewegung, im Gänsemarsch hintereinander aufgereiht wie eine Gruppe von Eingeborenen.
Monk bemerkte weiter vorn eine schemenhafte Bewegung. Nicht weit vom Tenderdock näherte sich jemand über die Treppe, die zum Mitteldeck hochführte. Die schäbigen Uniformen kannte er bereits.
Piraten.
Beide Gruppen wurden im selben Moment aufeinander aufmerksam.
Monk stieß Lisa in die Spielhalle hinein. »Runter auf den Boden!«
Seine Gruppe verteilte sich in anderen Eingängen und hinter Stützsäulen. Einer der Kannibalen wurde am Kopf getroffen und zurückgeschleudert. Monks Eingeborenenkämpfer waren den Piraten zahlenmäßig jedoch überlegen. Sie feuerten ununterbrochen und beharkten den Korridor. Drei Piraten brachen zusammen. Der größte von ihnen schob einen hageren Mann auf die Treppe zurück und flüchtete.
Monk rückte mit einer Handvoll Kannibalen vor. Einer von ihnen entriss einem toten Piraten die Waffe und schleuderte sein eigenes
rauchendes Gewehr weg. Ein anderer kniff einen der Gefallenen in die Wange. Nicht aus Mitgefühl, sondern um sich einen Eindruck von der Beschaffenheit des Fleisches zu machen.
»Das eben war Devesh«, sagte Lisa, als sie wieder zu
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