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Der Judas-Code: Roman

Titel: Der Judas-Code: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Rollins , Norbert Stöbe
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Haltung drückte unnachgiebige Härte aus. Wenn sie nicht innerhalb der nächsten Stunde echte Fortschritte erzielten, würde ihm der Geduldsfaden reißen. Dann würde er Befehl geben, Grays Eltern zu exekutieren und sie alle zu töten. Und weiterziehen.
    Nasser sah das ganz pragmatisch.
    Er besaß halt keine Fantasie.
    Deshalb war er auch ein langweiliger Liebhaber.
    Gray umkreiste den Altar zum dritten Mal. Er wirkte abgezehrt, war staubig und verdreckt, das wirre schwarze Haar klebte ihm an der Stirn. Am Kragen hatte er getrocknete Blutflecken, denn im Hotel hatte ihm einer von Nassers Männern mit der Pistole einen Schlag hinters Ohr versetzt.
    Noch immer wich er ihrem Blick aus.

    Das machte sie zornig, vor allem deshalb, weil es ihr wehtat, und das konnte sie nicht ausstehen. Sie sehnte sich nach der kalten Leidenschaftslosigkeit, die ihr früher zu eigen gewesen war und die es ihr erlaubt hatte, mit Nasser zu schlafen und ihren Willen durchzusetzen, wie sie es gewohnt war.
    Seichans Aufmerksamkeit wandte sich wieder naheliegenderen Dingen zu. Sie musterte ihre Bewacher und überlegte, wie sie sich befreien könnten. Die meisten Bewaffneten waren Einheimische, darunter auch ehemalige Soldaten der Roten Khmer, welche die Gilde nach dem Sturz des Diktators und Völkermörders Pol Pot angeworben hatte. Das waren bestimmt gute Straßenkämpfer. Sie bewachten die vier Ausgänge des Raums, die in die vier Himmelsrichtungen wiesen. Weitere Kämpfer waren über die ganze Tempelanlage verteilt und hinderten die Touristen daran, sie zu stören.
    »Nach den mir vorliegenden Informationen hat hier früher einmal eine große Buddha-Statue gestanden«, erklärte der Monsignore, der mit Gray zusammen den Altar umkreiste. Vigor deutete mit weit ausholender Geste auf die beiden rechteckigen Steinplatten, die treppenförmig übereinandergelegt waren. »Als sich jedoch der Hinduismus ausbreitete, wurde der Buddha umgestürzt und in den großen Brunnen geworfen, an dem wir auf dem Herweg vorbeigekommen sind.«
    Der einzige verbliebene Schmuck waren vier im Schatten liegende Gesichter des Bodhisattvas Lokesvara. Diese vier aber blickten nach innen, auf den Altar und den nicht vorhandenen Buddha. Kowalski lehnte sich an eines der Gesichter und blickte daran hoch.
    Über dem Altar ragte der große Mittelturm des Bayon über vierzig Meter hoch auf. Mitten hindurch führte eine Art Kamin, ein nach oben hin offener Schacht mit rechteckigem Querschnitt. Dies war die einzige Lichtquelle.
    »Hier muss es sein«, sagte Gray und blieb stehen. »Von hier aus muss ein Weg nach unten führen.«
    »Wohin?«, fragte Nasser.
    Gray deutete auf den Monsignore. »Vigor hat erwähnt, die Fundamente des Turms seien im Erdreich vergraben. Tief im Erdreich.
Wir müssen uns Zugang zu den unteren Räumen verschaffen. Und ich finde, wir sollten als Erstes unter dem Altar suchen.«
    Vigor trat neben ihn. »Glauben Sie, das könnte wichtig sein?«
    Gray streifte sich eine Strähne aus der Stirn; ihm war anzumerken, dass er überlegte, wie viel Offenheit er sich gestatten durfte.
    Nasser hatte sein Zögern ebenfalls bemerkt. »Es ist schon wieder eine Stunde verstrichen.« Er tippte auf seine Armbanduhr. »Tick-tack, Commander.«
    Gray seufzte. »Es geht um das große Relief, an dem wir vorbeigekommen sind. Um das Quirlen der Milch. Jedes Detail der Geschichte hat eine bestimmte Bedeutung. Die Schlange, das schäumende Meer, das Gift, die Gefahr für die ganze Welt, der leuchtende Überlebende. Ein Detail aber steht eigentümlich isoliert, und es fehlt die Erklärung dafür. Es passt nicht zu den anderen Elementen der Geschichte.«
    »Und das wäre?«, sagte Nasser.
    Seichan merkte Gray an, welche Anstrengung es ihn kostete fortzufahren. Jedes einzelne Wort bereitete ihm Mühe.
    »Die Schildkröte«, sagte Gray schließlich.
    Vigor kratzte sich am Kinn. »Die Schildkröte auf dem Relief stellt den Vishnu dar, sie ist eine Inkarnation des Gottes. In seiner Schildkrötenerscheinung stützt er den hin und her schwankenden Berg Meru und hindert ihn am Versinken.«
    Gray nickte. »Auf dem Relief befindet sich die Schildkröte unter dem Berg. Weshalb ausgerechnet eine Schildkröte?« Er beugte sich vor und malte einen Berg mit einem gewölbten Schildkrötenpanzer in den Staub auf dem Altar.

    Er tippte auf den Panzer. »Woran erinnert Sie das?«
    Vigor beugte sich vor. »An eine Höhle. An eine unter einem Berg verborgene Höhle.«

    Gray blickte in den Lichtschacht

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