Der Judas-Code: Roman
verschlossenen Tür. Die oberste Etage wurde noch immer mit Taschenlampen abgesucht. Somit blieb ihnen nur noch ein Ausweg.
Das Dach.
Weiter unten tobte der Hund mit der Beinprothese herum und schwelgte in seiner Eroberung.
Jack stützte sich auf ihre Schulter. Hüpfend näherte er sich der Tür zum Dach. Sie hatten den Ausgang bereits untersucht und festgestellt, dass er mit einer Kette gesichert war. Allerdings hatte jemand die untere Ecke der Tür mit einer Brechstange aufgebogen. Die Öffnung so groß, dass sie sich unter der Kette hindurchzwängen konnten.
Als sie draußen in der nächtlichen Dunkelheit angelangt waren, verbarrikadierte Jack die Tür mit einem herumliegenden Rohrstück. Viel nützen würde es nicht. Doch das war ohnehin nicht entscheidend. Es gab noch ein halbes Dutzend andere Zugänge zum Dach. Die konnten sie nicht alle blockieren.
»Hier entlang«, sagte Jack und deutete mit dem Arm. Zuvor hatte er auf dem Dach eine ausgeschlachtete Klimaanlage entdeckt, groß genug, um sich darin zu verstecken.
Besonders vielversprechend war auch das nicht.
Über kurz oder lang würden die Hunde sie wittern.
An der Klimaanlage angelangt, ließen sie sich auf der von der
Tür abgewandten Seite auf die Teerpappe niedersinken, denn sie wollten erst im letzten Moment in den Kasten hineinkriechen. Am Himmel leuchteten die Sterne und die Mondsichel. In der Höhe zog ein Flugzeug mit blinkenden Lichtern seine Bahn.
Jack legte den Arm um Harriets Schulter und zog sie an sich.
»Ich liebe dich«, sagte er.
Für ihn war das ein seltenes Eingeständnis. Nicht dass Harriet je an seiner Liebe gezweifelt hätte. Selbst jetzt hatte seine Stimme ganz sachlich geklungen, als ob er erklärt hätte, die Erde sei rund. So einfach war das.
Sie schmiegte sich an ihn. »Ich liebe dich auch, Jack.«
Harriet klammerte sich an ihn. Sie wusste nicht, wie viel Zeit ihnen noch blieb. Irgendwann würde die Suche ein Ende haben. Dann würde Annishen sich das Dach vornehmen.
Schweigend, mit verschränkten Händen, warteten sie. Ein ganzes Leben hatten sie miteinander verbracht, hatten Freude und Schmerz, Triumph und Niederlage geteilt. Auch wenn sie kein Wort darüber verloren, wussten sie beide genau, worum es ging. Sie nahmen Abschied voneinander.
17
Nackte Gewalt
17. Juli, 09:55
Angkor Thom, Kambodscha
Gray lehnte sich an die Ziegelwand des höhlenartigen Raums.
Vor der schmalen Öffnung waren ein halbes Dutzend Bewaffnete postiert. Die Männer, die der Öffnung am nächsten standen, hatten die Waffen gezogen. Nasser hatte sie in dem Raum eingesperrt und überwachte derweil die Anbringung der Sprengladungen am Altarstein. Gray sah auf das Leuchtzifferblatt seiner Taucheruhr.
Sie waren jetzt seit fast einer Stunde hier.
Er hoffte, dass Nasser so beschäftigt war, dass er die stündliche Drohung gegen seine Eltern vergaß. Irgendetwas hatte ihn aufgebracht - nicht nur die Verzögerung, die deshalb eingetreten war, weil der Sprengstoff erst herangeschafft werden musste. Nachdem er sie hier eingesperrt hatte, war er mit dem Handy am Ohr weggestürmt. Dabei hatte Gray das Wort >Kreuzfahrtschiff< herausgehört. Also ging es um das wissenschaftliche Standbein der Gildenoperation. Painter hatte ihm von der Kaperung des Schiffes und von Monks und Lisas spurlosem Verschwinden berichtet.
Irgendetwas war da schiefgegangen.
War das nun im Hinblick auf seine Freunde eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Gray stieß sich von der Wand ab und tigerte in der höhlenartigen Gefängniszelle auf und ab. Seichan saß neben Vigor auf einer Steinbank.
Kowalski lehnte sich aus der Öffnung. Einer der Wachposten zielte mit dem Gewehr auf seinen Bauch, doch davon ließ Kowalski sich nicht beeindrucken. Als Gray neben ihn trat, sagte er: »Eben ist da ein Typ mit einem Presslufthammer vorbeigekommen.«
»Sie müssten jeden Moment so weit sein«, meinte Vigor und stand auf.
»Weshalb dauert es so lange?«, fragte Gray.
»Bestechung braucht Zeit«, antwortete Seichan, die sitzen geblieben war.
Gray blickte sich fragend zu ihr um.
»Ich habe gehört, wie jemand etwas auf Khmer gerufen hat«, erklärte sie. »Nassers Leute räumen die Tempelanlage und verjagen die Touristen. Offenbar hat die Gilde den Bayon für den Rest der Party gemietet. Das ist eine arme Gegend. Um die Behörden zum Wegsehen zu veranlassen, braucht es nicht viel.«
Gray hatte bereits etwas Ähnliches vermutet. Die Wachposten gaben sich keine Mühe mehr, ihre
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