Der Judas-Code: Roman
abservieren«, meinte Gray.
»Aber das ergibt keinen Sinn«, entgegnete seine Mutter. »Ich habe in der konspirativen Wohnung mit Direktor Crowe telefoniert. Er weiß, dass wir in einen Hinterhalt geraten sind. Warum lässt er dann diese Lügen verbreiten?«
Die Antwort wurde hinter ihrem Rücken gegeben. »Weil sie in Wirklichkeit hinter mir her sind.« Seichan trat in den Raum. Sie hatte die Jacke angezogen. »Sie wollen mich nicht entwischen lassen.«
Gray wandte sich an die anderen. »Sie hat recht. Die Schlinge zieht sich zu. Wir müssen von hier verschwinden.«
Kowalski schloss sich seiner Einschätzung an. Nach der Zurechtweisung durch Grays Mutter war er ans Fenster getreten und spähte zwischen den Lamellen der Jalousie hindurch. »Leute, wir bekommen Besuch.«
Gray trat neben ihn. Durch das Fenster sah man den Haupttrakt der Klinik. Auch die Notaufnahme mit der Fahrspur für die Krankenwagen war zu sehen. Vier Polizeiwagen näherten sich mit lautlos kreisenden Lichtern im Schritttempo dem Portal. Die Behörden hatten begonnen, die Krankenhäuser zu überprüfen.
Gray wandte sich zu dem ehemaligen Lehrassistenten seiner Mutter um. »Dr. Corrin, wir haben viel von Ihnen verlangt, aber ich fürchte, das war noch nicht alles. Können Sie meine Eltern irgendwo in Sicherheit bringen?«
»Gray«, sagte seine Mutter.
»Mom, keine Einwände.« Er fixierte den Arzt.
Corrin nickte langsam. »Ich besitze ein paar Mietobjekte. Eine Wohnung am Dupont Circle wurde kürzlich möbliert, steht aber derzeit leer. Dort würde niemand Ihre Eltern vermuten.«
Das hörte sich gut an.
»Dad, Mom... Ihr solltet übrigens nicht telefonieren und dürft
keine Kreditkarten benutzen.« Er wandte sich an Kowalski. »Können Sie auf sie aufpassen?«
Kowalski ließ die Schultern hängen; er vermochte seine Enttäuschung nicht zu verhehlen. »Ich will nicht schon wieder stumpfsinnig Wache schieben.«
Gray wollte Kowalski gerade einen förmlichen Befehl erteilen, da kam seine Mutter ihm zuvor. »Wir können selbst auf uns aufpassen, Gray. Seichan ist immer noch in schlechter Verfassung. Ihr habt bessere Verwendung für einen zusätzlichen Mann als wir.«
»Außerdem wird das Gebäude rund um die Uhr bewacht«, setzte Dr. Corrin etwas zu eilig hinzu. »Da gibt es Sicherheitsleute, Kameras, Alarmknöpfe.«
Gray hatte den Verdacht, dass es dem Arzt weniger um die Sicherheit seiner Eltern als vielmehr darum zu tun war, Kowalski von seinem Eigentum fernzuhalten. Auch jetzt noch achtete er darauf, dem Mann nicht zu nahe zu kommen.
Außerdem hatte seine Mutter recht. Da Seichan nicht einsatzfähig war, wären sie vielleicht auf zwei starke Arme angewiesen. Schließlich war Kowalski Sigmas Muskelmann. Da könnte es nicht schaden, ihm endlich mal Gelegenheit zu geben zu beweisen, was in ihm steckte.
Kowalski hatte Grays Gedanken erraten. »Es wird Zeit.« Er rieb sich die Hände. »Die Party kann beginnen. Als Erstes brauchen wir Kanonen.«
»Nein, als Erstes brauchen wir einen Wagen.« Gray wandte sich an Dr. Corrin.
Ohne zu zögern zog der Arzt einen Schlüsselbund aus der Tasche. »Auf dem Ärzteparkplatz. Nummer 104. Ein weißer Porsche Cayenne.«
Er war mehr als erleichtert, sie endlich los zu sein.
Für jemand anderen galt das nicht.
Seine Mutter umarmte ihn fest und flüsterte ihm ins Ohr: »Sei vorsichtig, Gray.« Sie senkte noch weiter die Stimme. »Und vertrau ihr nicht... jedenfalls nicht ganz.«
»Keine Sorge...«, sagte er, denn das sah er genauso wie sie.
»Eine Mutter macht sich immer Sorgen.«
Er flüsterte ihr eine letzte Anweisung ins Ohr. Seine Mutter
nickte und drückte ihn noch einmal, dann löste sie sich von ihm.
Als Gray sich umdrehte, streckte ihm sein Vater die Hand entgegen. Er schüttelte sie. So war das bei ihnen. Keine Umarmungen. Er war aus Texas. Sein Vater wandte sich Kowalski zu.
»Passen Sie auf, dass er keine Dummheiten macht«, sagte er.
»Ich werd mir Mühe geben.« Kowalski nickte zur Tür hin. »Können wir?«
Als er sich abwandte, klopfte sein Vater Gray zum Abschied auf die Schulter. Das grenzte schon an einen Gefühlsausbruch und wärmte Gray das Herz mehr, als er sich eingestehen wollte.
Ohne ein weiteres Wort trat er als Erster ins Freie.
03:49
»Noch immer keine Hinweise auf Grays Aufenthaltsort«, meldete Brant über die Sprechanlage.
Painter saß am Schreibtisch. Das Ausbleiben von Nachrichten enttäuschte ihn und erfüllte ihn gleichzeitig mit Erleichterung. Ehe er sich
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