Der Judas-Code: Roman
über seine widersprüchlichen Empfindungen klar werden konnte, fuhr Brant fort:
»Und Dr. Jennings ist soeben eingetroffen.«
»Schicken Sie ihn rein.«
Dr. Malcolm Jennings, der Leiter der Forschungsabteilung, hatte vor einer halben Stunde angerufen und um eine Unterredung gebeten, doch Painter hatte ihn wegen der Kampfhandlungen an der konspirativen Wohnung vertröstet. Selbst jetzt konnte er nur fünf Minuten für ihn erübrigen.
Die Tür ging auf, Jennings trat ins Büro und hob die Hand. »Ich weiß... Sie sind beschäftigt... aber das konnte nicht warten.«
Painter forderte ihn mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen.
Der schlaksige ehemalige Gerichtsmediziner setzte sich auf die Stuhlkante. Er wirkte besorgt. In der Hand hielt er einen Aktenordner. Jennings ging auf die sechzig zu und hatte schon für Sigma gearbeitet, als Painter dort die Leitung übernommen hatte. Er rückte seine Brille zurecht, deren halbmondförmige Gläser
bläulich getönt waren, um die Augen bei der Computerarbeit zu schonen. Die Brille betonte seine olivfarbene Haut und sein angegrautes Haar und verlieh ihm einen jugendlichen, professorenhaften Touch. Im Moment aber wirkte der Mediziner vor allem müde, wenngleich sein Blick vor Erregung flackerte.
»Ich nehme an, es geht um die Daten, die Lisa von der Weihnachtsinsel übermittelt hat«, eröffnete Painter das Gespräch.
Jennings nickte und klappte den Ordner auf. Er schob Gray zwei Fotos über den Tisch, welche die von einer Art Wundbrand schauerlich entstellten Beine eines Mannes zeigten. »Ich habe die Notizen des Toxikologen und des Bakteriologen durchgesehen. Die körpereigenen Bakterien des Patienten sind plötzlich virulent geworden und lösen dessen weiches Beingewebe auf. So etwas habe ich noch nie gesehen.«
Painter betrachtete die Fotos, doch ehe er eine Frage stellen konnte, war der Arzt bereits wieder auf den Beinen und wanderte unruhig im Zimmer umher.
»Ich weiß, dass wir der indonesischen Katastrophe zunächst eine niedrige Priorität beigemessen haben und lediglich Fakten sammeln wollten. Nach diesen Befunden müssen wir unsere Einschätzung korrigieren. Ich bin deshalb persönlich zu Ihnen gekommen, weil ich Sie bitten möchte, der dortigen Krise die zweite Priorität einzuräumen.«
Painter straffte sich. Diese Einstufung würde den Einsatz gewaltiger Ressourcen nach sich ziehen.
»Zwei Leute sind nicht genug«, fuhr Jennings fort. »Ich möchte so schnell wie möglich ein komplettes Forensik-Team vor Ort haben, selbst dann, wenn wir für den Transport das Militär einschalten müssen.«
»Wäre das nicht ein bisschen voreilig? Monk und Lisa wollen in«, Painter sah auf die Uhr, »gut drei Stunden Bericht erstatten. Wenn uns mehr Daten vorliegen, können wir besser planen.«
Jennings nahm die Brille ab und rieb sich mit dem Knöchel ein Auge. »Ich glaube, Sie haben mich nicht richtig verstanden. Wenn sich die Vermutungen des Toxikologen als zutreffend erweisen sollten, stehen wir vor einer ökologischen Katastrophe, die das Potenzial hat, die Biosphäre der Erde zu verändern.«
»Malcolm, finden Sie nicht, dass Sie da etwas übertreiben? Die Untersuchungsergebnisse sind vorläufig. Ihre Schlussfolgerungen beruhen zum größten Teil auf Mutmaßungen.« Painter deutete auf die Fotos. »Es könnte sich auch um ein einmaliges Vergiftungsphänomen handeln.«
»Selbst wenn es so wäre, würde ich empfehlen, auf der Insel Brandbomben abzuwerfen und das Meeresgebiet für mehrere Jahre abzuriegeln.« Er sah Painter direkt in die Augen. »Und sollte sich herausstellen, dass die Bedrohung übertragbar ist, haben wir eine globale Umweltkatastrophe zu befürchten.«
Painter starrte den Mediziner entgeistert an. Jennings war normalerweise kein Schwarzseher.
Der Arzt fuhr fort: »Ich habe alle erforderlichen Daten gesammelt und eine kurze Zusammenfassung geschrieben. Lesen Sie’s durch, und melden Sie sich bei mir. Je eher, desto besser.«
Jennings ließ den Ordner auf Painters Schreibtisch liegen.
Painter zog die Akten zu sich heran. »Ich werde es gleich lesen und rufe Sie dann in spätestens einer halben Stunde an.«
Jennings nickte erleichtert. Er wandte sich zum Gehen, äußerte aber noch eine letzte Warnung. »Bedenken Sie... wir wissen noch immer nicht mit letzter Gewissheit, was die Dinosaurier umgebracht hat.«
Mit dieser ernüchternden Bemerkung verließ der Mediziner das Büro. Painter fasste die schauerlichen Fotos in den Blick. Er
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