Der Judas-Code: Roman
Kommunikationskanal benutzen, um Painter anzurufen. Aber wie sollte er das anstellen? Es war nicht auszuschließen, dass die Gilde sämtliche Kommunikationswege überwachte.
Hinter ihm am Tisch meldete sich Seichan zu Wort. »Monsignore, Sie haben noch immer nicht erklärt, weshalb Sie uns nach Istanbul gerufen haben. Sie haben gesagt, Sie hätten die Engelschrift entziffert.«
Die Neugier veranlasste Gray zum Tisch zurückzugehen, doch er wollte sich nicht wieder setzen. Er stellte sich zwischen Seichan und Vigor.
Der Monsignore nahm seinen Rucksack auf den Schoß und wühlte darin. Er nahm ein Notizbuch heraus, legte es auf den Tisch und schlug es auf. Auf das Papier waren mit Kohlestift Schriftzeichen gemalt.
»Das ist die Inschrift vom Boden des Turms der Winde«, sagte Vigor. »Jedes einzelne Zeichen dieses Alphabets entspricht einem vollständigen Wort. Trithemius, dem Erfinder der Engelschrift, zufolge eröffnen diese Worte oder Lautfolgen in der richtigen Reihenfolge den unmittelbaren Zugang zu einem bestimmten Engel.«
»Ein Ferngespräch«, murmelte Kowalski an der anderen Seite des Tisches.
Vigor nickte und blätterte um. »Hier habe ich die Bezeichnungen der einzelnen Zeichen aufgeführt.«
Gray schüttelte den Kopf, denn er erkannte kein Muster in den Zeichen.
Vigor zückte einen Kuli, unterstrich jeweils den ersten Buchstaben der einzelnen Worte und las sie laut vor. »A. I. G. A. H.«
»Ist das der Name des Engels?«, fragte Kowalski.
»Nein, das ist kein Engelsname, aber ein Name«, antwortete Vigor. »Man muss wissen, dass Trimethius’ Alphabet auf dem Hebräischen basiert und dass er glaubte, den jüdischen Buchstaben wohne eine besondere Kraft inne. Selbst heute noch glauben die Kabbalisten, in den geschwungenen Buchstaben des hebräischen Alphabets drücke sich göttliche Weisheit aus. Trithemius behauptete nun, seine Engelschrift sei der reinste Extrakt des Hebräischen.«
Gray beugte sich vor, denn er ahnte, worauf Vigor hinauswollte. »Und das Hebräische wird von rechts nach links gelesen.«
Seichan fuhr mit dem Finger über das Blatt und las rückwärts. »H. A. G. I. A.«
» Hagia « , wiederholte Vigor. »Auf Griechisch bedeutet das ›göttlich‹.«
Grays Augen wurden erst schmal, dann weiteten sie sich auf einmal.
Natürlich.
»Und was bedeutet das?«, fragte Seichan.
Kowalski, der ebenfalls nicht weiterwusste, kratzte sich am Schädel.
Als Vigor sich erhob, folgten alle seinem Beispiel. Er wandte sich dem Stadtpanorama zu. »Auf der Heimreise kam Marco Polo auch nach Istanbul, das damals noch Konstantinopel hieß. Hier wechselte er von Asien nach Europa über, ein bedeutsamer Schritt.«
Der Monsignore zeigte auf eines der alten Bauwerke. Gray war es bereits aufgefallen. Eine Kirche mit flacher Kuppel, halb verdeckt von einem schwarzen Baugerüst.
»Die Hagia Sophia«, sagte Gray.
Vigor nickte. »Das war einmal die größte christliche Kirche der Welt. Marco hat die wundervollen Innenräume geschildert. Manche Leute glauben fälschlicherweise, Hagia Sophia bedeute ›Heilige Sophia<, dabei heißt das Bauwerk Kirche der Göttlichen Weisheit, was man auch als Kirche der Engelsweisheit interpretieren könnte.«
»Dorthin müssen wir!«, sagte Seichan. »Dort muss der erste Schlüssel versteckt sein.« Sie wandte sich zum Gehen.
»Nicht so eilig, junge Dame«, meinte Vigor tadelnd.
Der Monsignore bückte sich, langte in den Rucksack und zog einen in ein Tuch gewickelten Gegenstand hervor. Er legte ihn behutsam auf den Tisch und schlug das Tuch zurück. Darunter kam eine längliche Tafel aus mattem Gold zum Vorschein. An einem Ende war ein Loch, die Oberfläche war mit Kursivschrift bedeckt.
»Das ist keine Engelschrift«, sagte Vigor, als er merkte, dass Gray interessiert die Schriftzeichen musterte. »Das ist Mongolisch. Der Text lautet: ›Vermittelst der Macht des ewigen Himmels, geheiligt sei der Name des Khans. Möge jeder, der ihm keinen Respekt zollt, sterben.‹«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Gray und zog die Stirn kraus. »Hat das mal Marco Polo gehört? Was ist das?«
»Die Chinesen nennen das Paitzu. Die Mongolen Gerege.«
Drei verdutzte Gesichter schauten Vigor an.
Er sah auf den Gegenstand nieder. »Heutzutage nennt man so was einen VIP-Ausweis. Ein Reisender mit diesem Generalausweis konnte überall Pferde, Proviant, Männer und Boote erhalten, alles, was die vom Kublai Khan regierten Länder hervorbrachten. Wer ihm seine Hilfe
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