Der Judas-Code: Roman
scherenartig die Beine und steuerte mit den gefesselten Armen. Er war kräftig und drahtig.
Das Speedboot aber war schneller.
Es schwenkte herum und nahm abermals Anlauf.
Ein lachender Pirat im Heck des Bootes zielte mit dem Sturmgewehr. Als das Boot zwischen dem Kreuzfahrtschiff und dem jungen Mann hindurchraste, feuerte er eine Salve ab.
Monk zuckte inwendig zusammen, denn er glaubte nicht, dass Jessie die Attacke überlebt hatte.
Doch da tauchte Jessie auch schon wieder hustend und spuckend auf. Er strampelte mit den Beinen. Die Piraten grölten anerkennend.
Monk hatte die Hände so fest um die Reling gekrallt, als wollte er sie losreißen. Die verdammten Schweine spielten mit Jessie und verlängerten seinen Todeskampf.
Obwohl er zur Untätigkeit verdammt war, konnte Monk den Blick nicht abwenden. Seine Gesichtsröte musste selbst unter der nussbraunen Tarnung zu sehen sein.
Alles meine Schuld...
Jessie schwamm jetzt in Seitenlage, denn er wollte sehen, wie weit der Strand noch entfernt war. Das Speedboot fuhr einen Bogen und kam zurück. Grölendes Gelächter schallte übers Wasser.
Jessie strampelte heftiger. Als er auf einmal Boden unter den Füßen spürte, richtete er sich auf. Er rannte los, stürzte, kroch und schwamm zum Ufer. Dann tauchten seine Beine aus den Strandwellen hervor. Er rannte über den Sand auf den dichten Dschungel zu.
Lauf, Jessie, lauf...
Das Speedboot raste vorbei. Schüsse wurden abgefeuert. Sand spritzte hoch, Blätter wurden zerfetzt. Dann legte Jessie die letzten Schritte zurück und verschwand zwischen den Bäumen, die Hände noch immer auf den Rücken gefesselt.
Lauter Jubel, ein paar Unmutslaute.
Geldscheine wechselten den Besitzer.
Die meisten Piraten aber lachten noch immer, als wäre das Ganze nichts weiter als ein Scherz.
Monk stieß seinen Nebenmann an. » Apa? « , fragte er.
Monk hatte inzwischen herausgefunden, dass gebrochenes Malaiisch bei dieser Mischung aus Einheimischen und Söldnern völlig ausreichend war. Nicht jeder beherrschte die Sprache so gut wie die malaiischen Piraten.
Dem Herrn an seiner Seite fehlten mehrere Zähne, doch das hinderte ihn nicht daran, seine Lücken mit einem breiten Grinsen vorzuzeigen. Er wies zum Strand, zielte mit dem Finger jedoch etwas
höher. An der Hügelkette stiegen ein paar Rauchsäulen auf. Dort lag offenbar eine Siedlung.
» Pemakan daging manusia « , erklärte der Pirat.
Ganz meinerseits, Kumpel.
Dem Piraten war Monks Verwirrung offenbar nicht entgangen, denn sein Grinsen wurde so breit, dass Monk die verfaulten Weisheitszähne zählen konnte. Der Pirat versuchte es erneut. » Kanibals. «
Monks Augen weiteten sich. Dieses malaiische Wort verstand selbst er. Er blickte wieder zum menschenleeren Strand, dann schaute er zu den Rauchfahnen hoch. Offenbar teilten sich die Piraten die Insel mit einem Kannibalenstamm. Und wie alle höflichen Gäste hatten sie ihren Gastgebern bei der Heimkehr buchstäblich einen Knochen als Gastgeschenk mitgebracht.
Der Pirat brabbelte etwas und zeigte aufs Wasser. Monk verstand nur wenige Brocken.
»... Glück gehabt... nachts schlimm...« Er hob die Hand und krümmte die Finger, als packte er etwas, dann senkte er die Hand. » Iblis. «
Das war ein malaiischer Fluch.
Monk hatte ihn schon häufiger gehört, war sich aber ziemlich sicher, dass der Mann das Wort in seiner eigentlichen Bedeutung gebrauchte.
Dämon.
» Rakasa iblis« , wiederholte der Pirat und plapperte weiter, bis er einen Namen flüsterte und sein Grinsen auf einmal gefror. »Rangda.«
Monk beugte sich stirnrunzelnd über die Reling und blickte aufs Wasser nieder. Er musste an Jessies Ammenmärchen denken. Rangda war der Name der balinesischen Hexenkönigin, deren Dämonen angeblich diese Gewässer unsicher machten.
»Bei Nacht...«, murmelte der Mann auf Malaiisch und zeigte aufs Wasser. » Amat, amat buruk. « Sehr, sehr schlimm.
Monk seufzte. Na großartig. Besorgt blickte er zum Waldrand, dorthin, wo Jessie verschwunden war.
Dämonen und Kannibalen.
Was würde als Nächstes kommen? Der Club Med?
9
Hagia Sophia
6. Juli, 09:32
Istanbul
Während die Sonne auf das Dachrestaurant niederbrannte, lauschte Gray der bedrohlichen Nachricht. Auf einmal wurde ihm kalt.
»Wenn Sie meine Anweisungen nicht genauestens befolgen, werde ich Ihre Eltern töten.«
Gray krampfte die Hand um Vigors Handy. »Wenn ihnen irgendwas passiert...«
»Es wird. Das garantiere ich Ihnen. Ich schicke Sie Ihnen
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