Der Judas-Code: Roman
die Lagune wurde nicht von Wolken überschattet.
Da war aber jemand fleißig, dachte Monk, als er den Kopf in den Nacken legte.
Über die Öffnung des Vulkankegels war ein riesiges Netz gespannt. Es wirkte uneinheitlich, zusammengestoppelt, denn der Bau hatte sicherlich Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte gedauert. Die meisten Teile wurden von Stahltrossen und einem Gitterwerk stabilisiert, das von einem Berggipfel zum nächsten reichte, während andere Bereiche aus Seilen und Fischernetzen bestanden und ein Teil sogar aus geflochtenem Gras und Stroh. Das Gebilde überspannte die Lagune wie ein netzartiges Dach, eine technische Meisterleistung, kunstvoll mit Blättern, Ranken und Zweigen getarnt. Von oben war die Lagune nicht zu sehen. Aus der Luft würde man den Eindruck gewinnen, die Insel sei vollständig mit Urwald bedeckt.
Und jetzt hatte sich die Mistress of the Seas in dem Netz gefangen, das sie vor neugierigen Blicken verbarg.
Das war gar nicht gut.
Die Maschinen stoppten, und die Fahrt verlangsamte sich immer mehr. Monk hörte das Rasseln der Ankerkette und spürte im Decksboden eine leichte Vibration.
Am Bug ertönte lautes Geschrei.
Monk ging langsam nach vorn. Einige Piraten waren weniger zurückhaltend und rannten mit hochgereckten Sturmgewehren grölend an ihm vorbei.
»Das kann nichts Gutes bedeuten«, murmelte Monk.
Vorsichtig hielt er sich im Hintergrund. Auf dem Vordeck hatten sich um das Schwimmbecken und den Whirlpool Piraten versammelt. Aus den Lautsprechern dröhnte die Reggaemusik Bob Marleys. Viele hielten Bier-, Whiskey- oder Wodkaflaschen in der Hand. Söldner und einheimische Piraten waren bunt durchmischt. Offenbar fand hier eine Willkommensparty statt.
Es wurden auch Spiele veranstaltet.
Die Aufmerksamkeit der Piraten galt der Steuerbordseite des Schiffs. Sie reckten die Fäuste und schwenkten Sturmgewehre; laute Anfeuerungsrufe waren zu hören. Jemand hatte das Sprungbrett des Pools unter die Reling geschoben, sodass es aufs Wasser hinausragte. Ein Mann wurde nach vorn gezerrt, die Hände hatte man ihm auf den Rücken gefesselt. Er war geschlagen worden; seine Nase blutete, die Lippen waren aufgeplatzt.
Schließlich konnte Monk das Gesicht des Mannes erkennen.
O nein...
Jessie plapperte in einem fort auf Malaiisch - seine Worte trafen jedoch auf taube Ohren. Mit vorgehaltener Waffe zwang man ihn, über die Reling zu klettern und sich auf das Sprungbrett zu stellen. Offenbar handelte es sich um fundamentalistische, ausgesprochen traditionsbewusste Piraten.
Mit Schlägen in den Rücken wurde Jessie bis ans Ende der Planke getrieben.
Monk trat einen Schritt vor.
Zwischen ihm und dem jungen Krankenpfleger drängten sich jedoch zu viele Bewaffnete. Außerdem, was hätte er tun sollen? Sich einen Weg durch das Gewühl der Piraten freizuschießen, kam nicht in Frage. Dann wären sie beide getötet worden.
Gleichwohl wanderte seine Hand zum Gewehr.
Er hätte den jungen Burschen niemals in die Sache verwickeln dürfen. Er hatte sich zu sehr auf ihn verlassen und ihn dabei überfordert. Jessie war vor einer Stunde losgezogen, um eine Landkarte zu besorgen. Irgendjemand musste eine Karte haben oder in der Lage sein, eine zu zeichnen. Die Piraten mussten irgendwo in der Nähe ihre Vorräte auffrischen. Monk hatte ihn zur Vorsicht gedrängt, doch Jessie war mit leuchtenden Augen davongeeilt.
Und das hatte ihm sein Eifer nun eingebrockt.
Mit einem lauten Aufschrei kippte Jessie vom Ende der Planke, fiel in die Tiefe und prallte hart auf dem Wasser auf. Wie die meisten Piraten stürzte auch Monk an die Reling. Schulter an Schulter aufgereiht, pfiffen und buhten sie, feuerten Jessie an und beschimpften ihn. Wetten wurden abgeschlossen.
Monk ließ den angehaltenen Atem entweichen, als Jessie auftauchte und in Rückenlage mit den Beinen strampelte. Zwei Piraten am Bug zielten auf den Ertrinkenden.
O Gott...
Die Schüsse knallten unter dem Tarnnetz besonders laut.
Wasserspritzer markierten die Einschläge der Kugeln.
Dicht bei Jessies Fersen.
Neuerliches Gelächter.
Der junge Mann strampelte heftiger und versuchte, vom Schiff wegzuschwimmen.
Er würde es niemals bis ans Ufer schaffen.
Eins der blauen Speedboote hielt auf den strampelnden Malaien zu, als wollte es ihn über den Haufen fahren. Erst im letzten Moment schwenkte es ab, während Jessie vom Kielwasser überspült wurde.
Spuckend tauchte er auf, eher zornig als verängstigt.
In Rückenlage bewegte er
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