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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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es so eng, dass sich die Männer gegenseitig im Weg standen, während sie die Seitenwände des Sargs freilegten.
    Hinzu kam, dass der andauernde Regen das Geviert in ein rutschiges Schlammloch verwandelt hatte. Ständig brach neues Lehmreich von oben in die Grube. Während einer der Burschen die Holzkiste mit einer Eisenstange hochstemmte, zog Apfler zwei Seile unter dem Sargboden durch den Matsch und warf sie auf der anderen Seite aus der Grube. Als sie die Kiste mit den Seilen hochzogen, kam ein vierzig Zentimeter hoher und halbwegs intakter Sarg zum Vorschein.
    »Seien Sie vorsichtig, damit das Holz nicht auseinander bricht«, mahnte Sabriski die Männer.
    Apfler und seine Helfer hievten die Kiste neben den Erdaushub auf den Boden. Der Regen trommelte auf den Deckel und ein brauner schmieriger Matsch lief über das Holz. Es roch nach Moder und verfaulten Wurzeln.
    Trotz der Kälte schwitzte der Totengräber. Er rieb sich mit dem Ärmel über die Stirn, wo er eine braune Spur hinterließ. »Beim nächsten Sarg werden wir leider Pech haben.« Er nickte in die Grube. »Der liegt seit vier Jahren im Wasser.«
    »Holen Sie alles rauf, was halbwegs unversehrt ist«, ordnete Sabriski an. »Um den Rest kümmere ich mich.«
    »Jawohl, Gnädigste.« Apfler stieg über die Leiter in das Loch. Nach wenigen Minuten hatten sie so viel Lehm aus der Grube geschaufelt, dass sie bereits auf die ersten Holzstücke trafen. Wadentief im Wasser watend, legten sie vorsichtig den Deckel und die Kanten frei.
    »Der Sarg ist auf fünfzehn Zentimeter zusammengebrochen«, rief Apfler aus der Grube. Mittlerweile konnte er nicht mehr über den Rand des Aushubs sehen. »Müssen aufpassen, damit nicht…« Im nächsten Moment brach er mit dem Fuß durch die Bretter. »Verdamm’ mich!« Er zog sich an der Leiter hoch. »Gebt mir das Werkzeug!«
    Einer der Burschen reichte Apfler einen Eimer und eine Handschaufel, womit der das vermoderte Holz auszulösen begann.
    Sabriski kniete am Rand des Lochs. »Ich brauche das Mittelstück von der Sargunterseite möglichst unbeschädigt.«
    »Wozu? Das ist bloß noch Moder.«
    »Ich habe keine Lust, mit Ihnen darüber zu diskutieren … ich brauche es eben!«, fuhr Sabriski ihn scharf an.
    Apfler zuckte gleichgültig mit den Achseln. »Darf doch wohl erfahren, wozu ich das tue?«
    »Ich schicke das Teil zu einer chemischen Untersuchung ein, vielleicht wurde der Junge vergiftet.«
    »Vergiftet?«, schnaubte Apfler. »Gnädigste, das glauben Sie doch selbst nicht.«
    Nachdem er die Holztrümmer des Sargs freigelegt hatte, tauchte er eine schwarze Plastikfolie ins Wasser, hob die Überreste der Kiste hoch und drehte sie auf die Plane. Dabei brach alles auseinander. Weißes, aufgeschwemmtes Fleisch und Stoffreste kamen zum Vorschein.
    »Schöner Dreck!«, fluchte Apfler. »Hab’s ja gesagt, dass …« Plötzlich verstummte er. »Oh, nein!«, entfuhr es Sabriski.
    Ungläubig starrte Körner in die Grube. Spielten ihm der Regen und das aufgewühlte schlammige Wasser einen Streich, oder sah er tatsächlich das, was er zu sehen glaubte? An der halb im Wasser liegenden Leiche erkannte er ein freiliegendes Rückgrat.
    In unmittelbarer Nähe fuhr ein Blitz nieder. Der Donnerschlag ließ die Erde beben, kurz daraufsetzte der Wolkenbruch ein.
     
    18. Kapitel
     
    Die Aufbahrungshalle neben dem Friedhof war ein kreisrunder Raum mit weiß gefliestem Boden und einer Kuppel, unter der ein gewaltiges Missionskreuz aus dem Jahre 1954 hing. Auf das einzige Fenster im Raum, eine ovale Dachluke, prasselte unaufhörlich der Regen. Das Geräusch hallte an den Wänden des leerstehenden Raums wider. Obwohl auf dem Friedhof der Frost über die Gräberreihen kroch, war es in dem Raum dunstig und schwül. Apfler, Körner und die beiden Burschen platzierten den Sarg und die Plastikfolie auf Marmorpodeste. In Grein gab es weder einen Sezierraum noch ein Leichenschauhaus. Die Aufbahrungshalle war der einzige halbwegs passende Raum, der Sabriski für die Obduktion zur Verfügung stand.
    Sowie sich Hans Apfler und seine Helfer verabschiedet hatten, begann Sabriski mit der Arbeit. Sie trug ihre Instrumente aus Körners Wagen in den Raum, schlüpfte in einen weißen Kittel und zog sich Latexhandschuhe an. Ohne Carinas Sarg zu beachten, widmete sie sich zunächst der Plastikfolie.
    Sabriski schlug die Plane zurück, sodass das Wasser auf den Fliesenboden spritze und ein brauner, erdiger Schlamm über den Rand des Marmorpodests rann. Dies war

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