Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
Vom Netzwerk:
darunter?«
    »Die Abwasserleitung aus der Sakristei, das sagte ich bereits.« Pater Sahms Stimme bekam einen barschen Ton. »Sie sind gern willkommen, um im Gotteshaus zu beten und Ruhe und Einkehr zu finden. Doch wenn Sie mit dem Gedanken spielen, die Einrichtung zu zerlegen, muss ich Sie bitten, die Kirche zu verlassen!« Mit einer um Verständnis heischenden Geste deutete er zum Ausgang. »Das kam in den letzten Jahren leider zu oft vor.«
    Körner erinnerte sich an die Schilderungen im Tagebuch. Die Einwohner hatten die Kirche bestimmt nicht grundlos demoliert und in Brand gesteckt. Er erhob sich und ging zur Tür. Philipp folgte ihm. Als sie an der weißen Plane vorbeikamen, die sich meterlang über ein Holzgerüst spannte, machte Körner einen Schritt darauf zu. »Was befindet sich darunter?« Ohne eine Antwort abzuwarten, zerrte er das Laken von dem Gerüst. »Raus!«, befahl Pater Sahms.
    Unter der Plane kam ein wuchtiger Beichtstuhl zum Vorschein. Der Judas-Schrein! Körner starrte gebannt auf das pechschwarze Holz, die klobigen Türrahmen und den massigen, in Teer getränkten Sockel, auf dem das Gebilde thronte. Die Tür des Beichtstuhls war mit einer Holzlatte vernagelt.
    »Raus hier!«, brüllte der Pater.
    Körner betrachtete den kleinen rundbogigen Reliquienschrein. Was von weitem wie die Holzarbeit eines frommen Kunstschnitzers aussah, entpuppte sich bei näherer Betrachtung als grässliches Gezücht mit Dornen, Zähnen, Krallen und verkeilten Hörnern. Die Formen waren grob ausgearbeitet, die Details verschwammen ineinander, dennoch waren sie zweifellos die Ausgeburt eines kranken Geistes. Er hätte nicht gedacht, dass es die in dem Tagebuch des Messdieners beschriebenen Figuren tatsächlich gab.
    »Wonach suchst du?«, flüsterte Philipp.
    »Ich habe gesehen, was ich wollte. Wir gehen, vielen Dank.«
    Als Körner unter dem Vordach stand, blickte er auf den Dorfplatz hinunter. »Die Situation wird immer surrealer. Was ist das bloß für ein beschissener, kranker Ort?«
     
    22. Kapitel
     
    Wieder starrte Körner auf den Dorfplatz hinunter, diesmal aus seinem Zimmerfenster im Braunen Fünfender. Es war zehn Uhr abends. Vier ungeklärte Morde an Kindern und ein toter Ermittler - so lautete der Stand der Dinge. Eine ärmliche Bilanz für jemanden, der dringend Erfolge vorweisen musste.
    Da öffnete sich die Tür und Sabriski spazierte herein wie in ihr eigenes Zimmer. Mit einem Satz saß sie im Schneidersitz am Kopfende des Betts. In den engen Leggins und dem grauen Rollkragenpullover wirkte sie wie eine Sportlehrerin aus einem Ferienlager. Sie sah verdammt sexy aus. Ihre Haare steckten noch im Pullover. Sie fuhr sich mit den Händen in den Nacken und schüttelte die Mähne aus. Während Körner aus dem Fenster blickte, erzählte er ihr, was er mit Philipp im Krämerladen und in der Kirche herausgefunden hatte. Sie hörte sich alles an, ohne ihn zu unterbrechen.
    »Schwammartige Offnungen in den Wänden, von Magnetismus gekrümmtes Licht … klingt ziemlich verrückt, aber ich glaube dir.« Sie drehte eine Haarsträhne zu einer Locke. »Auch ich habe einige merkwürdige Dinge entdeckt.«
    Körner setzte sich zu ihr aufs Bett. Bis auf die Hose war er nackt.
    »Deine Kollegin hat mir bei der Autopsie assistiert«, begann sie. »Ich dachte, sie würde zusammenklappen, aber sie ist ganz schön tough. Nachdem wir mit Basedovs Leiche fertig waren, fuhren wir in Philipps Wagen los, um den verendeten Setter zu suchen. Er lag noch immer im Rinnstein. Kein Mensch scherte sich um den Kadaver. Ich hatte den Hund gerade in den Wagen geladen, als die Feuerwehr kam und die Straße sperrte. Wir mussten einen Umweg entlang der Trier fahren. Die Menschen packen wie die Verrückten Sandsäcke auf den Schutzdeich. Ich dachte, ich sehe nicht richtig.« Sie breitete die Arme aus. »Es ist gigantisch, die Trier ist zu einer Breite von achtzig Metern angeschwollen.«
    »Erzähl mir lieber, was du bei der Autopsie rausgefunden hast.«
    Sie nahm die Haare in den Mund und kaute an den Spitzen, ehe sie weitersprach. »Basedov und der Hund sind auf die gleiche Art und Weise getötet worden. Die Wunden stammen nicht von Stahlklingen oder scharfen Werkzeugen, sondern von Zähnen und Krallen mit Widerhaken, da bin ich mir ziemlich sicher …« Sie überlegte. »Möglicherweise bestehen die Zähne aus der gleichen Substanz wie die Partikel, welche ich in Sabine Krajniks Wunde entdeckt habe. Basedov, der Hund und die Kinder der

Weitere Kostenlose Bücher