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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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daran, dass Basedov tot war und sein verstümmelter Leichnam wenige hundert Meter von hier in der Aufbahrungshalle neben dem Friedhof lag. Es hatte mit diesem Scheißdorf zu tun - und damit, dass Verena im Nachbarort lebte und der alte Gehrer angedeutet hatte, er solle an seine Tochter denken, nicht so viele Fragen stellen, von hier abhauen und die Vergangenheit ruhen lassen. Einen Dreck würde er tun! Er würde den Fall lösen, und falls jemand seiner Tochter ein Haar krümmte, sollten sie ihn kennen lernen. Er ließ den Kopf hängen und sank in Sabriskis Schoß. Sie strich ihm sanft durchs Haar. Er spürte, wie die Anspannung von ihm abfiel. Für einen Moment fühlte er sich geborgen und konnte die kranke Welt in diesem Ort vergessen.
    »Ich dachte, du stehst auf Philipp …«, murmelte Körner. Er spürte wie sich ihr Bauch hob, als sie leise kicherte. »Nein, ernsthaft. Ich dachte, er sei dein Typ und ihr hättet etwas miteinander.«
    »Grundsätzlich wäre Phil mein Typ. Groß, breitschultrig, männlich, rau und trotzdem ein witziger Kerl, mit dem man unsinnige Sachen treiben kann, aber …« Sie sog die Luft ein. »Er ist schwul - schade eigentlich.«
    »Was?« Körner fuhr im Bett hoch.
    »Sag bloß, das hast du nicht gewusst?« Sabriski lachte auf, dann kriegte sie sich wieder ein und flüsterte: »Philipp ist schon öfter von den Kollegen aus der Sitte in diversen Sadomaso-Clubs gesehen worden. Und er war nicht dort, um irgendwelche Spuren zu sichern.«
    »Ich wird’ verrückt. Philipp ist ein Homo.« Er sank in ihren Schoß zurück. »Sybille, seine Exfreundin, hat mir das nie erzählt.«
    »Vielleicht weiß sie es gar nicht. Phil spricht ja nicht mit jedem drüber. Du weißt sicher, dass er keine tolle Kindheit hatte …«
    Sie erzählte ihm das klassische Familiendrama aus der Wiener Großfeldsiedlung, dass Phil bis zu seinem zehnten Lebensjahr von seinem Vater mit dem Gürtel geschlagen worden war und noch vieles mehr. Körner fielen ständig die Augen zu, und er konnte nicht mehr unterscheiden, was Sabriski ihm erzählte, was er von Rolf Philipp selbst gehört hatte und was sein Unterbewusstsein schlicht dazuerfand.
    Irgendwann schlug er die Augen auf und Sabriskis Summe war verstummt. Sein Kopf lag noch immer in ihrem Schoß. War sie eingeschlafen? Langsam erhob er sich, ohne den Lattenrost zum Knarren zu bringen. Er wollte sie nicht wecken, doch als er mitten im Zimmer stand und sich umdrehte, merkte er, dass seine Mühe unnötig gewesen war. Sabriski saß aufrecht im Schneidersitz im Bett und hielt die Hände im Schoß gefaltet.
    Körner stockte der Atem. Hinter ihm standen Dutzende Kerzen auf dem Waschbecken aufgereiht. Er roch das Wachs. Die Dochte prasselten, die Flammen zeigten schnurgerade zur Decke. »Jana?«, flüsterte er. Seine Stimme klang merkwürdig fremd.
    Sie saß stumm da. Er schritt um sie herum, aber die Wände dehnten sich mit jedem Schritt, den er machte, weiter aus, als bewege sich das Zimmer mit seiner Bewegung mit. Plötzlich war das Fenster merkwürdig hoch, besaß ein Fensterkreuz in der Mitte, wie in einem uralten Gemäuer aus den zwanziger Jahren. Als er den Blick zur Seite drehte, sah er Sabriskis Hinterkopf im Spiegel, bemerkte jedoch nichts Ungewöhnliches.
    Er hielt den Atem an, als er in weiter Ferne ein zunächst leises und danach lauter werdendes Plätschern hörte. Im Kerzenschein schritt er zur Wand und legte das Ohr an die Tapete. Das Wasser lief nicht jenseits der Zimmerwände, sondern in der Wand. Als er die Tür öffnete stand er mit seinen nackten Füßen mitten im Wasser. Die eiskalte Flut umspülte seine Zehen und den Hosenaufschlag. Mitten im Gang tropfte das Wasser von der Decke, sickerte aus den Wänden, sammelte sich auf dem Boden und stürzte über die Treppe nach unten. Er folgte dem Weg des Wassers. Die rutschigen Holzstufen führten in das untere Stockwerk, das einen Meter hoch überflutet war. Doch wie in den meisten Träumen sah die Umgebung anders aus als in der Wirklichkeit. Vom Schankraum, dem Frühstückszimmer und dem Gemeindesaal war keine Spur zu sehen. Das Erdgeschoss bestand aus einem einzigen großen Saal mit einem hohen, viergeteilten Fenster, das bis zur Decke reichte.
    Er stieg die Treppe bis zur letzten Stufe hinunter, um durch das Wasser zu waten. Es war eiskalt, doch merkwürdigerweise fror er nicht - anders als im Weinkeller unter der Gaslight Bar, wo er auf Basedovs Leiche gestoßen war, sich sein Herz verkrampft und sein

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